Beziehungssex ist kein Verliebtheitssex

2. Sep. 2023

Beziehungssex ist kein Verliebtheitssex! Und auch kein Affären-Sex.

Viele meiner Klient*innen kommen in die Sexualberatung mit einer genauen Wunschvorstellung darüber, wie es im eigenen Schlafzimmer auszusehen hat. Ihr Sexleben ist nicht mehr befriedigend und bringt keine Erfüllung. Dementsprechend wünschen sich die meisten, dass der Sex wieder zu dem Erlebnis wird, das zu Anfang der gemeinsamen Beziehung war: spontan, häufig, leidenschaftlich.

Die bittere Pille

An dieser Stelle, noch bevor wir uns an die Arbeit machen, enttäusche ich gleich diese Erwartungen und lasse meine Klient*innen die bittere Pille schlucken. Sex in der Beziehung hat eine eigene Dynamik. Beziehungssex ist weder Verliebtheits- noch Affären-Sex, sondern hauptsächlich eine Entscheidung! Nämlich die Entscheidung, dass Sexualität eine Priorität ist – sein sollte? – wobei beide Partner*innen sich dafür proaktiv engagieren sollten. Die ›magische‹ Formel ist 70/30, das heißt, dass jeder Mensch für die eigene Sexualität, Lust und Befriedigung im Grunde selbstverantwortlich ist… Mindestens zu 70 Prozent. Diese Formel hilft es, das Sexleben in Beziehung nicht mehr gänzlich auf das Tun – oder nicht Tun – des*der Partner*in zu überlassen, sondern dass man*frau die Verantwortung für sich selbst übernimmt und sich mit dieser Dimension des Lebens – und der Beziehung – beschäftigt und ggf. kreative Lösungen findet.

Das bedeutet – auch gerade in längeren Beziehungen –  mit den jeweiligen Veränderungen umgehen zu lernen, die im Laufe der Zeit unvermeidlich sind. Das Gute dabei ist, dass Sexualität ein lebenslanger Lernprozess ist, das heißt, es kann spannend bleiben, wenn wir uns darauf einlassen und bereit sind, immer wieder aus der Komfortzone auszubrechen und alte Muster mit neuen besser passenden ersetzen.

Beziehungssex ist eine Entscheidung

Damit es nicht all zu trocken erscheint, werde ich nun diese Aussage etwas mildern. Sex in einer Beziehung kann weiterhin eine gewisse Spontaneität sowie Leidenschaft und Ungezwungenheit bewahren. Diese Aspekte allerdings sollten kultiviert werden, weil sie sich von allein nicht mehr ganz einfach einstellen.

Was auch im Laufe der Beratung ernüchternd sein kann, ist festzustellen, dass der so idealisierte ursprüngliche Sex doch nicht ganz so befriedigend und erfüllend für beide war, wie erinnert. Oft findet nämlich eine gewisse Verklärung statt, weil damals alles neu und aufregend war und diese allgemeine Aufregung mit dem sexuellen Erleben vermischt wird… Nicht so selten höre ich dann, dass bspw. für die Partnerin die Intimität doch nicht so erfüllend gewesen sei, dass der Orgasmus gefakt wurde, hin und wieder schmerzhaft war aber in dem Moment es richtig erschien, um «die ach so schöne Atmosphäre» nicht kaputt zu machen… Oder dass das Küssen nicht ganz den eigenen Vorstellungen entsprach, die Intimberührungen unangenehmen waren, dennoch man*frau weitergemacht hat, um den*die Partner*in nicht zu brüskieren… Im Laufe der Zeit tauchen allerdings diese Momente der Unzufriedenheit an die Oberfläche auf, verbinden sich mit den unvermeidlichen Kränkungen und Herausforderungen des Alltags und bauen eine immer höhere Wand zwischen den Partner*innen.

Was gibt es sonst für Gründe

Wie gesagt, zu Anfang sorgt ein magisches chemisches Cocktail für Unbeschwertheit und Leidenschaft, denn durch (guten) Sex werden weitere Substanzen ausgeschüttet, die die Bindung fördern. Und die emotionale Aufregung lässt uns alles durch eine rosa-rote Brille sehen und übersehen, was in der sexuellen Chemie doch nicht so ganz stimmt. Denn, gerade wenn wir auf die bewusste oder unbewusste Suche nach einer Beziehung sind, sind wir besonders empfänglich für Merkmale, die eine gute Beziehung verheißen. Aber … der*die beste Partner*in für eine Beziehung, der beste Vater, die beste Mutter für unsere Kinder ist nicht unbedingt der*die beste Partner*in fürs Bett. Und bestimmte sexuelle Modalitäten, Vorlieben, Ausdrucksweisen lassen sich nicht auf Knopfdruck ändern, auch nicht aus Liebe.

Sexuelles Begehren ist ein komplexes Zusammenspiel, das durch verschiedene Faktoren und Umstände beeinflusst wird, wie zum Beispiel: 1) der sogenannte ›Erregungsmodus‹ der Partner*innen, 2) ihr ›Erotisches Homebase‹, 3) proaktive oder responsive Tendenz, 4) ungeklärte Konflikte aus der Beziehung und/oder in der eigenen Geschichte, 5) Umgang mit Nähe und Distanz, Bindung und Autonomie, 6) Berührungskompetenz etc.

Die Ausführung dieser verschiedenen Faktoren und Umstände im Detail würde den Rahmen diesen Artikels sprengen. In anderen Blog-Artikeln findest Du andere Aspekte und Anregungen zu verwandten Themen. Solltest Du Interesse haben, das diesen Aspekt zu vertiefen, hast Du die Möglichkeit das Webinar Die Lust-Schule zu buchen oder – wenn Du noch tiefer in das Thema einsteigen möchtest – die Ausbildung Sexualcoaching zu besuchen.