Die „depressive“ Vagina

Okt 19, 2020

Der Begriff ›depressive‹ Vagina im Bezug auf die weiblichen Genitalien hört sich wie ein ungewöhnlicher Ausdruck an. In der Tat kann er oftmals sehr zutreffend sein, vor allem dann, wenn sich unsere ›beste Freundin‹ vernachlässigt fühlt und ganz unterschiedliche Beschwerden entwickelt.
Lass uns gemeinsam schauen, was sich unter dem Begriff ›depressive‹ Vagina versteckt. (Im nächsten Blog-Artikel werden wir sehen, was ein ›betäubter Penis‹ ist ).

Was ist eine ›depressive‹ Vagina?

Unter einer ›depressiven Vagina‹ wird eine Reihe von Symptomen zusammengefasst, die von Juckreiz, Brennen, Schmerzen beim Wasserlassen bis hin zur Trockenheit, ein diffuses Unwohlsein und Gefühllosigkeit der Scheide variieren können.
Darüber hinaus trifft diese Bezeichnung ebenfalls zu, wenn Frauen bspw. sagen, sie würden in der Vagina nichts spüren, also wenn anders als bei Schmerzen (oder eben bei Lust), die Vagina keinerlei Zeichen von sich gibt.

Grundsätzlich würde ich sagen, die Vagina wird ›depressiv‹ wenn wir sie vernachlässigen, wenn wir ihr in der Lust (allein oder mit Partner*in) zu wenig Beachtung schenken. In solchen Momenten ›bewohnen‹ wir unsere Vagina nicht, sie wird nicht berührt und die Aufmerksamkeit geht insgesamt Richtung Klitorisperle, des kleinen – aber von ca. 8000 Nervenzellen bestückten – Teils des gesamten Klitorisorgans. Dieses streckt sich übrigens zum allergrößten Teil im Inneren des weiblichen Genitals, so dass von außen nur die Perle gut erreichbar und stimulierbar ist aber nicht die anderen Bereiche, die ebenfalls von Bedeutung sind: die Klitorisschenkel, die Klitoris-Schwellkörper, der gesamte G-Bereich. Das können wir aber tun, indem wir bspw. ein oder zwei Finger in die Vagina einführen und die vaginalen Wände unterschiedlich berühren.
Darüber hinaus ist der Innenteil des weiblichen Organs durch zwei Nerven versorgt: der Vagusnerv und der hipograstische Nerv. Beide Nerven leiten Stimuli zum Gehirn, die von der Vagina und vom Muttermund kommen.
All diese Möglichkeiten bleiben unentdeckt und geraten in Vergessenheit, wenn die Vagina nicht ins Spiel mit einbezogen wird.

Die Vagina ›bewohnen‹

Die Vagina zu >bewohnen< bedeutet auch sie zu erotisieren, d.h. sie mit inneren Bildern, Erregung und sexuellen Gefühlen zu verknüpfen. Das passiert nicht von heute auf morgen, sondern durch verschiedene Lernschritte, bei denen unser Gehirn neuronale Erregungspfade bildet, die mit unserer Vagina verbunden sind.
Dafür braucht es ganz viele Berührungsstimuli, die unsere Vagina erreichen und sexuell stimulieren. Neurologisch betrachtet wissen wir, dass wenn wir bestimmte Verbindungen nicht verwenden, sich die neuronalen Verknüpfungen nach dem Prinzip «use it or lose it» auflösen. Berühren Frauen diesen Bereich des Körpers kaum – oder nie – bilden sich diese Pfade oft nicht einmal. Sollten sie sich gebildet haben, bauen sie sich wieder ab, wenn die Vagina keine weiteren sinnlichen erotischen Berührungen bekommt.

Der Weg zur Lustentdeckung

Wie kommt es, dass viele Frauen ihre Vagina nicht bewohnen? Hierfür gibt es sowohl anatomische Gründe als auch kulturelle Erklärungen und Prägungen.

Fakt ist, dass Erregung ein unwillkürlicher und angeborener Reflex ist. Das gilt für alle Menschen und es bedeutet, dass wenn ein sexueller Reiz das Gehirn erreicht, mehr Blut in die Genitalien fließt: der Penis erigiert im Außen, die Vulva und das Klitoris-Organ schwellen an, die Vagina öffnet sich, wird feuchter und erigiert wie der Penis, nur im Inneren des Körpers.

Männer …

Das männliche Genital ist zum größten Teil im Außen und verändert seine Form von früh an (bereits im Mutterleib), wenn der Erregungsreflex ausgelöst wird. Der Penis ist für den kleinen Junge sowieso immer gut sichtbar und fühlbar, bei unwillkürlicher Erregung umso mehr. Er bekommt genug Zuwendung und Berührungen, diese führen dazu, dass sich eine Art Autobahn aufbaut, denn die neuronalen Verknüpfungen sind beim Mann super aktiv.

… Und Frauen mit ihren Stolpersteinen

Bei uns Frauen ist alles ein bisschen anders. Nur die Vulva (Vulvalippen, Klitorisperle und Scheideneingang) liegen im Außen; der Rest gut versteckt im Inneren. Die Vulva ist auch nicht so gut sichtbar wie der Penis und verändert bei Erregung nicht so sehr ihre Form wie der Penis.  Lass uns einige Stolpersteine unter die Lupe nehmen, die die Entdeckung der Lust für viele Frauen holperig machen kann:

  • Insgesamt bekommt die Vulva viel weniger Beachtung, auch weil das weibliche Organ durch ihre geöffnete Form viel anfälliger für Infektionen ist. Neben sonstigen kulturellen Einflüssen kommt die Tendenz, sich ›da unten‹ nicht anzufassen, um Gesundheitsrisiken zu vermeiden.
  • Die meisten Frauen lernen ihre Vagina erst kennen, wenn sie zum ersten Mal ihre Regel bekommen und sich dafür entscheiden, Tampons zu benutzen. Dieses monatliche stattfindende Ritual ist selten eine besondere lustvolle – eher eine unangenehme und häufig schmerzhafte – Angelegenheit.
  • Das erste Mal – oder weitere Begegnungen – sind nicht immer das ›Gelbe von Ei‹. Oft passiert es mit ebenfalls wenig erfahrenen Liebhaber*innen. Statt zum gemeinsamen zärtlichen Herantasten, führen gesellschaftlicher oder emotionaler Erwartungsdruck der Beteiligten eher zu verkrampften Situationen.
  • Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes bedeuten eine weitere Erfahrung, die die Vagina mit schmerzhaften Momenten verknüpft. Trotz mütterlicher Freude kann diese negative Verknüpfung sehr hartnäckig sein.
  • Lange Rede, kurzer Sinn: die Vagina ist nicht nur für Lust zuständig. Sie wird im Laufe des Lebens einer Frau zunächst immer wieder mit negativen Empfindungen verknüpft. Es kann sich eine Art ›Schmerzgedächtnis‹ bilden, das nicht leicht zu überschreiben ist.

Diese eher negative Verknüpfung zusammen mit der Tatsache, dass viele Frauen ihre Vagina zu Gunsten des Kitzlers vernachlässigen, kann dazu führen, dass die Vagina depressiv wird. Es ist ein bisschen wie eine beste Freundin, die wir vernachlässigen. Sie wird gekränkt und mürrisch, irgendwann reagiert sie nicht mehr.

Weitere Gründe weshalb die Vagina depressiv wird

Die Gründe, weshalb Schmerzen, wie z. B. Juckreiz und Brennen, oder Trockenheit in der Vagina auftreten, sind unterschiedlich. Schmerzen in und/oder an der Scheide sind meistens eine direkte Konsequenz ihrer Trockenheit. Sex zu haben, wenn die Vagina nicht dafür bereit ist, das heißt, wenn sie nicht feucht genug ist, verursacht Mikroverletzungen in den vaginalen Wänden. Die Vagina ist dann nicht mehr intakt. Sie wird dadurch anfälliger für verschiedene Krankheitserreger, die in einer unversehrten Vagina keine Chance hätten. Die Konsequenz sind wiederholte Pilzinfektionen und/oder z. B. Blasenentzündungen, die mit der Zeit chronisch werden können.

Warum ist die Vagina trocken?

Die Trockenheit selbst entsteht hauptsächlich:

  • Wenn frau nicht oder nicht ausreichend sexuell erregt ist und die Vagina nicht bereit ist, einen ›Gast zu empfangen‹. Das heißt, dass die physiologische Erregung nicht ausreichend ist. Das bedeutet konkret : 1) Durch die noch niedrige Erregung ist die Vagina noch nicht feucht genug, 2) Sie hat sich noch nicht ›geöffnet‹ und nach hinten gestreckt (›tenting effect‹), so dass der Gast zu Besuch auch Platz hat.
  • Wenn die Erregung beim Sex nachlässt, weil die Lust insgesamt nicht ausreicht und/oder die Stimulation der Vagina nicht ausreichend erregend ist.
  • Bei längerem oft eher mechanischem und hartem Geschlechtsverkehr. Wenn das natürliche Lubrikat der Frau nicht ausreicht oder wenn die Ausscheidung dieser besonderen Flüssigkeit weniger wird, wie im Fall von absteigender Lust.
  • Nach dem Höhepunkt der Frau. Denn genauso wie beim Mann, baut sich auch bei der Frau durch den Orgasmus die physiologische sexuelle Erregung ab. D.h. die Schwellkörper im weiblichen Genital schrumpfen zurück, die Vagina selbst geht in den Ruhe-Modus, das Lubrikat (= die Flüssigkeit, die bei Erregung produziert wird) lässt nach.
  • Wenn frau vorwiegend einen externen-klitoralen mechanischen und druckvollen Erregungsmodus hat. In diesem Modus bedarf es oft der Stimulation mit hoher Körperspannung, Druck und durch einzige Stimulation der Klitorisperle, zum Beispiel durch Sextoys. In diesem Erregungsmodus spielt die Vagina keine Rolle. Sie bleibt unbewohnt und unbeachtet. Die hohe Spannung im Becken reduziert die gesamte Erregung. Die Vagina wird weniger feucht.
  • Wenn in der Menopause aufgrund der hormonellen Umstellung die Schleimhäute insgesamt trockener werden. Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass frau bei guter sexueller Erregung nicht ausreichend feucht genug werden kann. Eine gute Voraussetzung dafür ist, dass frau ihre Vagina erotisiert. Das heißt, sie ins Liebesspiel mit einbezieht, sie bewohnt und nicht vernachlässigt.
  • Das Reiben des Penis in der eher trockenen Vagina verursacht dann jene Verletzungen, die sie anfällig für Infektionen machen. Das Gleiche kann auch passieren, wenn der*die Partner*in fast ausschließlich mit starker Körperspannung mechanische gefühllose Stösse beschert. Dieser Sex ist vielleicht ab und an interessant, aber nicht das, was sich eine ›erwachte‹ und ›erotisierte‹ Vagina auf Dauer wünscht.

Vernachlässigt eine Frau ihre Scheide bei der Selbstbefriedigung, baut sie viel Spannung beim Sex auf und/oder lässt sie Geschlechtsverkehr zu, auch wenn ihre Vagina nicht bereit dazu ist, sind das die Gründe, weswegen es zu den weiteren Beschwerden kommen kann. Ihre Vagina wird depressiv, hat kein Interesse und keine Lust, einen ›Gast zu empfangen‹. Das muss aber nicht so bleiben.

Einen ›Gast empfangen‹

Einen Gast zu empfangen bedeutet nicht automatisch, dass die Vagina nicht vernachlässigt wird. Der ›Besuch‹ ist nicht per se eine Garantie gegen diese Symptome. Leider ist häufiger das Gegenteil der Fall!

Die Vagina will ›bewohnt‹ werden. Frau darf eine innige Verbindung zu diesem Bereich ihres Körpers aufbauen. Sie kann ihre Vagina besuchen und die Selbstberührungen mit sinnlichen erotischen inneren Bildern sowie Emotionen verbinden. Solange sich die Erregungspfade zum und im Gehirn nicht ausreichend aufgebaut haben, bleibt die Vagina ›Niemandsland‹.

Wenn die Vagina nicht oder zu wenig bewohnt ist, das heißt, wenn frau nicht gelernt hat, lustvolle Empfindungen mit ihr zu erleben und die entsprechenden physiologischen Reaktionen auszulösen – das Feucht-Werden sowie die Steigerung der Erregung – wird diese Vagina trotz Sex sehr wahrscheinlich auf Dauer ›depressiv‹,

Das passiert vor allem Frauen, die beim Sex eher die äußerliche klitorale Stimulation bevorzugen und die Penetration dann einfach über sich ergehen lassen, weil diese einfach ›dazu gehört‹ oder weil der Partner es eben so will. Wenn sich die Vagina nicht proaktiv lustvoll beteiligt, ist tatsächlich sehr wahrscheinlich, dass sie depressiv wird bzw. sich einfach ›beschwert‹, weil sie nicht gut behandelt wird.

Die Wechseljahre müssen nicht zum Wechsel der Vagina von ›bewohnt‹ zu ›unbewohnbar‹ führen: wenn eine Frau ihre Scheide vor der Menopause gut bewohnt und erotisiert hat, gut auf sie geachtet und gelernt hat, Erregung und Lust in der Penetration zu erleben, dann wird sie es auch nach den Wechseljahren weiter tun. Eventuell wird sie dafür sorgen, dass alles geschmeidig bleibt, indem sie sich mit einer guten Salbe eincremt, die dem Nachlassen der Östrogenproduktion entgegenwirkt. Eben genau so, wie wir unser Gesicht und unseren Körper eincremen, damit wir uns besser fühlen!

Was tun bei Schmerzen beim Sex?

Die beste Therapie gegen die oben beschriebenen Symptome ist eine proaktive Beschäftigung mit der eigenen Vagina, allein oder mit Partner*in. Es ist wichtig:

  • Die eigene Vagina zu erforschen, ihre Räume zu erkunden, herauszufinden, was sie mag und erregt
  • Die Spannung beim Sex durch Atmung und Bewegung lernen zu modulieren
  • Das Becken schwingen zu lassen, damit sich die Erregung im ganzen Körper verteilen und die Vagina gut durchblutet werden kann
  • Und zum Schluss: den*die Partner*in zu verführen, gefühlvoller und weniger angespannt beim Sex zu sein, mit seinem eigenen Körper verspielter und durchlässiger zu werden, mehr Ruhe statt Action ins Spiel zu bringen. Das ist der beste Weg, beschwerdefrei durchs Sex-Leben zu gehen. Also mehr Qualität statt Quantität!

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Last but not least

Solltest Du chronische Schmerzen haben, empfehle ich Dir so weit es möglich ist, Antibiotika zu vermeiden. Stattdessen ist es ratsam, lieber auf Naturmedizin zurückzugreifen. Für die Behandlung von Blasenentzündungen gibt es Heilmittel auf dem Markt, die sehr wirksam sind und keine Nebenwirkungen haben. Meine Empfehlung findest Du bei Anbieter*innen von Naturheilmitteln. Hier kannst Du auch mehr darüber lesen: Blasenentzündung loswerden.