Sacred Pleasure von Riane Eisler ist ein unglaubliches Werk! In diesem Artikel werde ich den Versuch wagen, die Leitgedanken einer hervorragenden Wissenschaftlerin zu übersetzten und zusammen zu fassen. Kein ganz einfaches Unterfangen, denn es um das 900-Seitenlanges Buch «Sacred Pleasure: Sex, Myth, and the Politics of the Body» geht, das bereits 1995 erschienen ist.

"Ich finde dieses Buch gewaltig, beeindruckend und zukunftsweisend auf eine ganzheitliche dennoch streng wissenschaftliche Art und Weise geschrieben. In diesem Artikel habe ich die ersten 400 Seiten vorgestellt. Ich empfehle die Lektüre des ganzen Buches, um noch tiefer in die Beweisführung der Hypothesen, die Riane Eisler beschreibt, die hier nicht genug Raum gehabt haben, um den Rahmen eines Blogartikels nicht weiter zu sprengen. (Zeit zum Lesen: ca. 30/40Minuten).

Zentrale Fragen

Riane Eisler hat sich zu Anfang des Buches einige zentralen Fragen gestellt, die sie versucht im Laufe des Buches zu beantworten:

  • Warum hat man uns so lange gelehrt, dass die Freuden am Sex sündhaft und schlecht sind, wo doch die Vermeidung von Schmerz und die Suche nach Vergnügen zu den wichtigsten menschlichen Motiven gehören?
  • Warum wird Sex, selbst wenn er nicht als böse verurteilt wird, so oft nicht mit erotischer Liebe, sondern mit der Vermarktung des weiblichen Körpers oder mit Sadismus und Masochismus, mit Dominieren und Beherrschtwerden in Verbindung gebracht?
  • War das schon immer so?
  • Oder gab es eine Zeit, bevor Sex, Frauen und der menschliche Körper verunglimpft, entwertet und zur Ware gemacht wurden?
  • Und vor allem: Welche persönlichen und gesellschaftlichen Veränderungen können uns helfen, zu einer gesünderen, weniger dysfunktionalen und weniger verletzenden Art der Strukturierung sexueller (und allgemeiner menschlicher) Beziehungen zu gelangen? (S.13ff.)

In ihren Beobachtungen und Studien kam Riane Eisler immer wieder auf die tiefe menschliche Sehnsucht nach Bindungen, die durch Liebe und Vertrauen sowohl durch Sexualität als auch durch Spiritualität entstehen. Allmählich begann sie zu erkennen, dass diese Verbindung zwischen Sex und Spiritualität nicht zufällig ist (S.14).

Auf den folgenden Seiten werden wir sehen, wie sich hinter der großen Vielfalt sexueller Bräuche und Sitten zwei grundlegende Möglichkeiten für unsere Spezies verbergen: das, was Riane Eisler als das ›Dominanz- und das Partnerschaftsmodell‹ genannt habe.

Deshalb haben Gesellschaften, die sich in erster Linie am Dominazmodell orientieren – die historisch gesehen Männer über Frauen, Könige über Untertanen und den Menschen über die Natur gestellt haben -, in ihre soziale Grundstruktur eine Reihe von Vorrichtungen eingebaut, die die Sexualität verzerren und unterdrücken (S.15)

Das so genannte Partnerschaftsmodell

Riane Eisler beschreibt anhand handfester archäologischer Befunde die Existenz von Kulturen, in denen die Gesellschaft eher nach dem Partnerschaftsmodell konzipiert und konstruiert waren. Als Beispiel dafür erwähnt sie die minoische Kultur auf der Insel Kreta sowie die Etrusker in Italien vor der Übernahme dieser Regionen von Seiten hindo-germanischer Völker. Ganz wichtig ist hier die Anmerkung, dass es sich immer um Tendenzen handelt, was auch bedeutet, dass inmitten von sehr starken auf Dominanz-basierenden Gesellschaften auch immer ›Zellen‹ der Kontra-Tendenz gegeben hat. Beweis dafür sind die drakonischen Maßnahmen im Laufe der Geschichte gegen Menschen, die immer wieder versucht haben, gegen die (sexuelle) Unterdrückung zu kämpfen.

Ein extrem effizientes Mittel, um eine auf Dominaz-basierte Gesellschaft aufzubauen ist die Einbettung von Misstrauen und Kontrolle in die sexuellen Beziehungen zwischen Frauen und Männern. Dies hat äußerst wirksam dazu geführt, dass nicht nur unsere intimsten Beziehungen, sondern alle unsere Beziehungen angespannt und misstrauisch sind. Wenn Gott außerdem verfügt hat, dass Männer Frauen kontrollieren und beherrschen müssen, warum sollte das dann nicht auch für andere Männer und andere Nationen gelten?

Aber die Tatsache, dass so vieles in unserer Gesellschaft immer noch die Dominanz erotisiert, hat in unterschiedlichem Maße dazu geführt, dass Männer dazu neigen, beim Sex eher an Kontrolle und Überlegenheit als an Zugehörigkeit und Fürsorge zu denken.  Dominanz und Kontrolle sind sogar integraler und selbstverständlicher Bestandteil ihrer ›männlichen Identität‹.

Die Erotisierung der weiblichen Unterwerfung

Und wie könnte man Frauen unbewusst besser darauf programmieren, Unterwürfigkeit und Dominanz zu akzeptieren, als durch die Erotisierung der weiblichen Unterwerfung? Die moderne Pornoindustrie bietet das dramatischste zeitgenössische Beispiel für diese Art der Konditionierung. Denn die meisten pornographischen Inhalte neigen dazu, sowohl Frauen als auch Männer zu entmenschlichen und sexuelles Vergnügen mit für die Unterlegenen schmerzhaften dominanten Praktiken zu verwechseln.

Wahrscheinlich geht das auf die Zeit unserer Vorgeschichte zurück, als es, wie wir jetzt lernen, eine große Verschiebung im Hauptstrom unserer kulturellen Entwicklung gab – von einem partnerschaftlichen zu einem dominanten Modell für alle Beziehungen.

Auf Partnerschaft basierende Gesellschaften

Es gibt immer mehr Beweise aus archäologischen Ausgrabungen, dass Frauen und Männer über Tausende von Jahren in Gesellschaften lebten, in denen die Norm nicht nur für sexuelle Beziehungen, sondern für alle Beziehungen – von denen zwischen Eltern und Kindern bis hin zu denen zwischen Mensch und Natur – nicht Herrschaft und Ausbeutung war (S.17ff.)

Auf Partnerschaft basierende Gesellschaften werden dadurch unterdrückt indem zunehmend Fürsorge und gewaltfreie Verhaltensweisen als ›minderwertige‹ Werte deklariert werden und den Gruppen wie Frauen und ›verweichlichten‹ Männern zugeschrieben – mit anderen Worten: denjenigen, die beherrscht werden, und nicht denjenigen, die beherrschen.

Gesellschaften, die in erster Linie auf Partnerschaft statt auf Herrschaft ausgerichtet sind, können sich mehr auf Vergnügen als auf Bestrafung (oder Angst vor Schmerzen) verlassen, um den sozialen Zusammenhalt zu erhalten.

Sex als eine Form von Sakrament

In partnerschaftlich orientierten Gesellschaften kann Sex eine Form von Sakrament sein, eine Gipfelerfahrung, denn hier kann die sexuelle Vereinigung zweier Menschen eine Erinnerung an die Einheit allen Lebens sein, eine Bekräftigung des heiligen Bandes zwischen Frau und Mann und zwischen uns und allen Formen des Lebens (S.21).

Die Ansicht, dass Sex eine spirituelle Dimension hat, ist allem, was uns gelehrt wurde, so fremd, dass sie die meisten Menschen völlig verblüfft. Tatsächlich ist diese Ansicht aber in alten Traditionen verwurzelt, die in der prähistorischen Kunst anschaulich zum Ausdruck kommen und die frühere Gelehrte oft als zu peinlich empfanden, um sich damit zu befassen, und in einigen Fällen sogar, um sie vollständig zu erkennen (S.21)

Liebende, die sich auf dem Bett umarmen

Eines der schönsten Beispiele für diese künstlerische Tradition, die Sex als heilig darstellt, stammt aus Mesopotamien. Es handelt sich um eine Terrakotta-Tafel, die manchmal als ›Liebende, die sich auf dem Bett umarmen‹ identifiziert wird. Diese antiken Sexualdarstellungen haben eindeutig nichts mit dem zu tun, was wir heute als Pornografie bezeichnen. Tatsächlich ist der Kontrast zwischen diesen beiden Arten von Sexualdarstellungen so auffällig, dass sie fast von verschiedenen Planeten zu stammen scheinen. Obwohl die heutigen pornografischen Bilder sich ebenfalls auf Vaginas, Phallusse und Geschlechtsverkehr konzentrieren, werden hier die Genitalien der Frau nicht als heilig verehrt, sondern als obszön angesehen. Und anstatt mit einer weiblichen Gottheit assoziiert zu werden, wird pornografischer Sex oft mit männlichem Zwang und Gewalt sowie mit weiblicher Unterwerfung und Erniedrigung in Verbindung gebracht (S.36ff.)

Dominanz- oder  Partnerschaftsmodell

Die entscheidende Frage ist nicht, ob eine Kultur östlich oder westlich, industriell oder vorindustriell, säkular oder religiös, nördlich oder südlich ist. Es geht darum, inwieweit sich eine Kultur oder Subkultur in erster Linie an einer der beiden grundlegenden Alternativen für die soziale und sexuelle Organisation orientiert nämlich an einem Dominanz- oder einem Partnerschaftsmodell. Das soll nicht heißen, dass diese Gesellschaften frei von Gewalt, Schmerz und Zerstörung waren – genauso wenig wie es heißen soll, dass, wenn es uns gelingt, zu einer partnerschaftlicheren Welt überzugehen, es niemals zu sexuellen oder anderen Gewalttaten kommen wird. Aber es ist eine Sache, die zerstörerische Seite der Natur und von uns selbst anzuerkennen, und die Tatsache, dass Menschen manchmal gewalttätig und missbräuchlich sind (S.41).

Die beherrschte Natur

Die Vorstellung, dass Natur – einschließlich des menschlichen Körpers – dem Geist unterlegen ist findet sich in unterschiedlichem Ausmaß sowohl in östlichen als auch in westlichen religiösen Mythologien, die darauf abzielen, politische und sexuelle Beziehungen unter der Herrschaft von Dominatoren durchzusetzen und aufrechtzuerhalten.

Diese soziale Konstruktion von Sex entstand aus dem grundlegenden sozialen Wandel von einem Partnerschafts- zu einem Dominanzmodell als primärem sozialen ›Attraktor‹, der, wie wir sehen werden, einen grundlegenden Wandel in der Art und Weise mit sich brachte, wie sowohl Schmerz als auch Lust sozial konstruiert wurden. Dieser Wechsel brachte charakteristischerweise die Erhebung des Mannes über die Frau und des so genannten Spirituellen oder Jenseitigen über das, was von dieser Welt ist, einschließlich unseres eigenen Körpers, mit sich. Am dramatischsten ist, dass sie eine fast totale Umkehrung und Verunglimpfung genau dessen erforderte, was einst verehrt wurde: Natur, Sex, Vergnügen und – vor allem – die lebensschaffende und -erhaltende sexuelle Kraft der Frau (S.47ff).

Tantra und das Maithuna Ritual

In der indischen tantrischen Tradition hat das Maithuna Ritual der sexuellen Vereinigung den Zweck, die Kundalini oder göttliche Energie zu erwecken, die oft ausdrücklich mit Shakti, der schöpferischen Kraft der Göttin, identifiziert wird. In der tantrischen Praxis verschmilzt der Mann mit dem Göttlichen, indem er der Frau sexuelles Vergnügen bereitet und so dazu beiträgt, die ekstatische Erfahrung für beide zu erhalten. Doch der Körper der Frau ist das göttliche Gefäß – in der westlichen Symbolik der Heilige Kelch oder Gral (S.51).

Die Rolle der Kirche

Zum besseren Verständnis der hysterischen Antisexualität und der gewaltsamen Unterdrückung durch die Kirche ist ein größerer Kontext erforderlich. Es war ein integraler Bestandteil der hochpolitischen Strategie der Kirche, ihre Kontrolle über ein Volk durchzusetzen und aufrechtzuerhalten, das sich noch schwach an viel frühere religiöse Traditionen erinnerte und daran festhielt. Diese Überbleibsel mussten um jeden Preis ausgerottet werden, entweder durch Kooptation oder Unterdrückung (S.53).

Die Theorie des Mannes als Jäger

Es gibt die Theorie, dass männliche Dominanz und eine stark hierarchische soziale Organisation durch ein hohes Maß an aggressivem Wettbewerb auf der Grundlage von Furcht und Gewalt zusammengehalten wurde. Nach dieser Theorie sind die Entwicklung einer Dominanzgesellschaft und die Entwicklung der hominiden – und von dort aus der menschlichen – Gesellschaft ein und dasselbe.

Ein hervorstechendes Merkmal der Theorie ›der Mensch als Jäger‹ ist, dass sie vorschlägt, dass die Bindung, die zur Bildung der ersten menschlichen Gemeinschaften führte, eine Bindung zwischen Männern war, um erfolgreicher jagen zu können. Viele Wissenschaftler haben jedoch inzwischen darauf hingewiesen, dass die Jagd bei nichtmenschlichen Primaten kaum eine wichtige Tätigkeit ist. Auch bei den frühen Hominiden war dies nicht der Fall; fossile Überreste deuten darauf hin, dass auch sie sich (wie Affen und Menschenaffen) hauptsächlich vegetarisch ernährten. Selbst bei den heutigen menschlichen Sammlergesellschaften stammt der Großteil der Kalorien aus gesammelten Nahrungsmitteln – so sehr, dass der Anthropologe Ashley Montagu argumentiert, dass man sie eher als Sammler-Jäger denn als Jäger-Sammler bezeichnen sollte. Zwar wird das Fleisch von Großwild geschätzt, doch besteht die Hauptnahrung aus Gemüse und Früchten sowie aus sehr kleinen Quellen tierischen Proteins, wie Schnecken oder Fröschen. Die Theorie des ›Jägers‹ über die soziale Organisation der Hominiden und der frühen Menschen steht also auf sehr wackligen Beinen.

Die sozialen Bindungen, auf denen die menschliche Gesellschaft beruht, entwickelten sich zuerst durch das Teilen der gesammelten Nahrung zwischen Müttern und Kindern und nicht durch die mit der Jagd verbundene männliche Bindung. Die Weibchen von Schimpansen (und auch von Pavianen) sammeln bspw. nicht nur ihre eigene Nahrung, sondern zeigen oft eine eindeutige Präferenz für Sex mit weniger aggressiven Männchen, die ihnen gegenüber freundlich sind und sie nicht ängstigen oder bedrohen (S.62ff.).

Die Bonobos

Die meisten Tiere kopulieren nur als Akt der Fortpflanzung. Bei den Bonobos jedoch verringern nicht reproduktive Kopulationen die Feindseligkeit und tragen dazu bei, die Intimität zwischen Weibchen und Männchen herzustellen und zu erhalten. Dies ist eine evolutionäre Entwicklung hin zu Sex als Mittel zur Stärkung sozialer Beziehungen, die auf dem Geben und Nehmen gemeinsamer Sinnesfreuden und nicht auf Zwang und Angst beruhen.

Da die Männchen solche Beziehungen nicht nur als Säuglinge, sondern auch als Erwachsene erlebt haben, konnten sie auch starke Bindungen zu anderen Weibchen aufbauen. Während bei vielen Arten ein wichtiger Mechanismus zur Vermeidung von ständigem Blutvergießen die Aufrechterhaltung von Herrschaftshierarchien durch Angst und Gewalt (d. h. durch Androhung von körperlichen Schmerzen) zu sein scheint, nutzen Bonobos häufig eher körperliche Lust als Schmerz, um Spannungen und Gewalt zu vermeiden (s.75ff).

Menschliche Sexualität ist kein Hindernis, sondern eher eine Hilfe bei der menschlichen Suche nach einem höheren Bewusstsein und kulturell und sozial höher entwickelten und gerechteren Organisationsformen. In der Tat glaube ich, dass unsere menschliche Sexualität weit davon entfernt ist, ein ›niederer Instinkt‹ oder ›niederer Trieb‹ zu sein, sondern Teil dessen ist, was wir einen höheren Trieb nennen könnten – ein unverzichtbarer Teil dessen, was unsere Spezies menschlich macht (S.86).

Sex als Sakrament

Wenn Bilder weiblicher Genitalien überhaupt als solche erkannt wurden, wurden sie zunächst als bloße Pornographie abgetan. Erst allmählich und gegen enorme Widerstände beginnen sich diese Vorurteile zu ändern. Es scheint realistisch zu denken, dass es in unserer Vorgeschichte heilige erotische Riten zu wichtigen religiösen Anlässen wie der jährlichen Wiederkehr des Frühlings Anfang Mai gab. Für damalige Menschen waren möglicherweise diese Rituale Wege der Ausrichtung auf die lebensspendenden weiblichen und männlichen Kräfte des Kosmos, die oft in der paläolithischen Kunst dargestellt wurden. Für sie war der Genuss von Sex also keine Sünde, sondern im Gegenteil ein Weg, sich ihrer Göttin zu nähern. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass sich das Wort Mutter sehr früh als allumfassender Begriff für die schöpferischen weiblichen Kräfte angeboten hat. Und anstatt private Ablässe zu sein, dienten Frauen dem öffentlichen Wohl – und sogar darüber hinaus – einem wichtigen religiösen Zweck, einschließlich dessen, was wir heute das Erreichen eines höheren Bewusstseins durch ein Gefühl des Einsseins mit dem Göttlichen nennen würden (S.100)

Unsere Vorfahren feierten Sex nicht nur im Zusammenhang mit Geburt und Fortpflanzung, sondern als die geheimnisvolle – und in diesem Sinne magische – Quelle von Vergnügen und Leben.

Die Art und Weise, wie uns beigebracht wurde, Sex – und Frauen – zu betrachten, sich sehr von der Sichtweise unserer prähistorischen Vorfahren unterscheidet. Was diese Bilder uns zeigen, ist es, dass es keinen logischen Grund gibt, Sexualität – und sexuelle Lust – vom Prozess der Lebensspendung oder Regeneration zu trennen.

Diese Bilder der weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane sind zweifellos sexuell. Und anzunehmen, dass diese Menschen die Trennung zwischen Sex zum Vergnügen und Sex zur Fortpflanzung vorgenommen haben, die das christliche Dogma lehrte als sie die paläolithische Kunst betrachteten -, ist eindeutig die Projektion späterer Überzeugungen auf frühere Zeiten. In prähistorischen Gesellschaften gab es nicht die Unterscheidung, die uns beigebracht wurde zwischen Natur und Spiritualität, zwischen dem Religiösen (oder Heiligen) und unserem täglichen Leben (einschließlich unseres Sexuallebens), (S.104).

In diesem kosmischen Zyklus symbolisiert der Sex immer noch die göttliche Energie, die die Welt in Bewegung hält. Vielen von uns erscheint dies seltsam, ja sogar frevelhaft. Aber es ist ernüchternd, darüber nachzudenken, dass unsere heiligen Bilder, die sich so sehr auf Schmerz, Leiden und Tod konzentrieren, unseren paläolithischen und neolithischen Vorfahren seltsam, ja sogar sakrilegisch erschienen sein könnten. Noch ernüchternder ist es, darüber nachzudenken, was diese Menschen wohl von unserer Pornografie gehalten hätten.

Sex und Zivilisation: Die frühen Wurzeln der westlichen Kultur

Es gibt eine Reihe interessanter neuer Erkenntnisse. Darunter:

  • Neue archäologische Entdeckungen in Verbindung mit Neuinterpretationen älterer Ausgrabungen stützten die Ansicht, dass es in unserer Vorgeschichte friedlichere Gesellschaften gab.
  • In diesen Gesellschaften gab nicht die massiven Ungleichheiten, von denen wir gelernt haben, dass sie für alle alten Zivilisationen charakteristisch sind.
  • Es gibt keine Hinweise darauf, dass Frauen den Männern untergeordnet waren. Frauen spielten eine wichtigere religiöse Rolle als Männer. Die Tatsache, dass Frauen so wichtige Rollen im Leben des alten Europa spielten, bedeutet nicht, dass Männer und nicht Frauen unterdrückt wurden.

Gelehrte nannten sie eher Matriarchate als Patriarchate. Damit wurde die Annahme aufrechterhalten, dass eine Gesellschaft, in der die Männer die Frauen nicht beherrschen, eine Gesellschaft sein muss, in der die Frauen die Männer beherrschen. Das ist aber nicht so gewesen. Dafür gibt es keine Beweise. Im Gegenteil. Riane Eisler verzichtet auf den Gebrauch des Begriffes ‚Matriarchat’und kreiiert einen neuen, der die Realität dieser Kulturen besser beschreibt (Gylany – Ein Mixwort aus Gyl=weiblich, An=männlich).

Keine Institutionalisierung von Gewalt und Dominanz

Es ist nicht realistisch zu glauben, dass es in diesen früheren Zeiten keine Gewalt oder Unterdrückung, keine Grausamkeit oder Gefühllosigkeit gab. Es ist auch nicht realistisch zu glauben, dass es dort keine Hierarchien oder Rangordnungen gab. Aber der springende Punkt ist, dass Gewalt, Grausamkeit, Herrschaft und Unterdrückung in diesen Gesellschaften nicht idealisiert oder institutionalisiert werden mussten, um starre Rangordnungen von Herrschaft und Ausbeutung aufrechtzuerhalten. Folglich musste Sexualität nicht unterdrückt oder mit Herrschaft oder Unterwerfung gleichgesetzt werden. Die natürliche Lustbeziehung zwischen Männern und Frauen müsste nicht künstlich unterbrochen werden. Männer müssten auch nicht systematisch darauf konditioniert werden, ihre männliche Identität mit Herrschaft und Eroberung gleichzusetzen (S.128).

Sex und Religion

Auch wenn Sex in prähistorischen Mythen und Riten eine wichtige Rolle spielte, Sex ist nicht so ›ernst‹ zu verstehen, wie es den meisten von uns beigebracht wurde, Religion ernst zu nehmen – als etwas, das mit der Angst vor göttlicher Bestrafung für unsere ›Sünden‹ verbunden ist, und nicht als etwas, das Vergnügen bereitet. Es geht vielmehr um eine ganz andere Sichtweise von Sexualität und Spiritualität: eine, die die spirituelle Dimension der Lust – insbesondere der ekstatischen Lust – als Erfahrung der Ganzheit mit uns selbst, miteinander und dem Universum nicht negiert (S. 133).

In dieser prähistorischen Kunst liegt der Schwerpunkt nicht auf der Frau als bloßem Behältnis für Babys. Vielmehr geht es um die sexuelle Macht der Frau – eine Macht, die für unsere prähistorischen Vorfahren sowohl natürlich als auch spirituell war.

Vom Eros zum Chaos, Sex und Gewalt

Eine einst populäre Erklärung für den Wechsel zu einer auf Dominanz und Gewalt basierende Gesellschaft behauptet, dass dieser Prozess mit der Entdeckung der eigenen Rollen bei der Fortpflanzung von Seiten der Männer. Hinter dieser Theorie stehen eine Reihe von Annahmen. Eine davon ist, dass Männer zwangsläufig aggressiv sind. Heute wird die ›Entdeckung der Vaterschaft‹ als Erklärung für die männliche Dominanz von den Wissenschaftler*innen fast durchweg abgelehnt (S. 149).

Dies ist im Wesentlichen die Ansicht, die von den strukturalistischen soziologischen Theorien vertreten wird, die noch immer an vielen westlichen Universitäten gelehrt werden und die davon ausgehen, dass immer komplexere und fortgeschrittenere soziale Systeme strukturell Hierarchien der Herrschaft erfordern (S. 144).

Das Auftreten der indoeuropäischen Kurganen im prähistorischen Europa mit dem Zusammenbruch der dörflichen Siedlungen und der Übernahme von zunehmend pastoralen oder umherziehenden, tiergestützten Produktionsweisen, markiert den Anfang vom Ende einer eher partnerschaftlich orientierten Zivilisation (S. 155). Aber, was geschah um 4500-4000 v. Chr. und sich über mehrere Jahrtausende hinzog, um solch große Bevölkerungsbewegungen auszulösen?

Dramatische klimatische Veränderungen

Es gab dramatische Veränderungen des Klimas. Es wurde rekonstruiert, dass es in vorindustriellen Stammesgesellschaften einen Zusammenhang gab zwischen einer rauen Umwelt, der rigiden sozialen und sexuellen Unterordnung der Frauen, der Gleichsetzung von Männlichkeit mit Härte und Kriegslust und der Unterdrückung und/oder Verzerrung sexueller Lust (S. 159). DeMeo glaubt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dominanten Mustern der sozialen und sexuellen Organisation und körperlichen und/oder psychischen Traumata gibt. Er schlägt vor, dass die Entstehung von dominanten sozialen Institutionen nicht nur zufällig war, sondern das Ergebnis traumatischer Erfahrungen und Praktiken, die sich während schwerwiegender klimatischer und ökologischer Veränderungen entwickelt haben. Außerdem, und das ist sehr wichtig, schlägt er vor, dass diese Muster der sozialen und sexuellen Organisation, sobald sie einmal etabliert waren, in fruchtbarere Regionen exportiert wurden, wo diese Art der sozialen und sexuellen Organisation nun durch die Institutionalisierung von Traumata aufrechterhalten wurde (z. B. durch traumatische Erziehungspraktiken, die Atmung, emotionalen Ausdruck und auf Vergnügen gerichtete Impulse effektiv hemmen).

Nomadische Weidewirtschaft (mehr noch als die heutige Viehzucht) ist  eine Mitursache in diesem Prozess. Kurz gesagt, die nomadische Weidewirtschaft führt zu einem Teufelskreis aus Umweltzerstörung und zunehmender wirtschaftlicher Konkurrenz um immer knappere Weideflächen – und damit zu gewaltsamen Auseinandersetzungen um territoriale Grenzen. Dies liegt daran, dass der Pastoralismus auf der Versklavung von Lebewesen beruht, die für die von ihnen produzierten Produkte ausgebeutet werden.

Psychologische Panzerung vs. Empatie

Dies würde auch die psychologische Panzerung (oder das Abstumpfen ›weicher‹ Emotionen) erklären helfen, die nach DeMeo die Ursprünge der herrschenden Gesellschaften kennzeichnet. Denn es ist schwierig, sich selbst zu erlauben, Empathie (geschweige denn echte Liebe) für kleine Kreaturen zu empfinden, die, egal wie liebenswert sie sind, getötet werden müssen.

Sobald Empathie und Liebe in irgendeinem Zusammenhang gewohnheitsmäßig unterdrückt werden, führt dies zu dem, was Psychologen als abgestumpften Affekt bezeichnen – eine reduzierte und stark abgeschottete Fähigkeit, auf andere Gefühle (Affekte) als Wut, Verachtung und ähnliche ›harte‹ Emotionen zu reagieren.

Sexuelle Gewalt, die Institutionalisierung von Traumata und unser Erbe des Schmerzes

Wir werden vielleicht nie in der Lage sein, das Puzzle der Ursprünge von Dominanz vollständig zusammenzusetzen. Aber zumindest fangen wir an, einige Teile dieses Puzzles zusammenzusetzen – und kommen damit dem Verständnis der Umstände etwas näher, die ursprünglich zu einer männlichen Sozialisation geführt haben, die eine emotionale Panzerung (d. h. die Unterdrückung anderer Gefühle als Wut, Verachtung und ähnlicher ›harter‹ oder ›männlicher‹ Emotionen durch Männer) und eine soziale Struktur vorschreibt, in der Frauen zusammen mit ›weichen‹ oder ›weiblichen‹ Emotionen (wie Mitgefühl und Fürsorge) von der sozialen Kontrolle.

Institutionalisierung von Traum, Schmerz und Leid

Es ist diese Institutionalisierung von Trauma, Schmerz und Leid – und von Gewalt und Herrschaft in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Herren und Sklaven, Herrschern und Untertanen, Nationen und Nationen sowie Männern und Frauen -, die in unterschiedlichem Maße unser kulturelles Erbe darstellt. Institutionell spiegelt es sich in den heute zunehmend als dysfunktional erkannten Familien wider, die auf Kontrolle beruhen, in tief verwurzelten Mustern der Gewalt gegen Frauen und Kinder und in chronischer Kriegsführung. Die ›wahre Männlichkeit‹ wird gleichgesetzt mit der Unterdrückung nicht nur ›minderwertiger‹ Völker, sondern auch ›minderwertiger‹ Gefühle- also stereotyp weiblicher Gefühle wie Fürsorge, Mitgefühl und Empathie.

Eine interessante Beobachtung von Keuls lautet: «Vergewaltigung ist die ultimative Umsetzung des Phallismus in die Tat. Vergewaltigung wird nicht zum Vergnügen oder zur Fortpflanzung begangen, sondern um das Prinzip der Herrschaft durch Sex zu verwirklichen» (S. 186).

Gesetzte, Moral und die Redefinition von Sexualität

Es liegt auf der Hand, dass die Männer keine so brutalen Gesetze erlassen hätten, wenn die Frauen nicht weiter rebelliert hätten. Gesetze sagen uns, welche Einstellungen und Verhaltensweisen die Menschen, die die Gesetze erlassen (und die die Macht haben, sie durchzusetzen), fördern oder verhindern wollen.

Diese Gesetze – und die ›Moral‹, die sie durchsetzten – spielten eine wichtige Rolle in dem Prozess, der zu dem grundlegenden Wandel in den sozialen und sexuellen Beziehungen führte, den wir gerade untersucht haben. Der Übergang von der Abstammung durch die Mutter (oder Matrilinie) zur Abstammung durch den Vater (oder Patrilinie) war ein sehr wichtiger Teil dieses Prozesses. Er führte zur Erfindung der einseitigen Monogamie, zusammen mit Prostitution, Ehebruch und Unehelichkeit sowie der harten Bestrafung von Frauen für jegliche sexuelle (oder sogar persönliche) Unabhängigkeit. Darüber hinaus war es ein Prozess, der, beginnend mit den ersten nomadischen Einfällen in das alte Europa und den fruchtbaren Halbmond, mit der Institutionalisierung und Verherrlichung der Kriegsführung einherging. Am wichtigsten für das, was wir hier erforschen, ist, dass es sich um einen Prozess handelte, in dem die Sexualität, nicht nur die der Frauen, sondern auch die der Männer, radikal neu definiert wurde.

Der radikale sexuelle, soziale und ideologische Wandel, der mit dem allmählichen Verlust der persönlichen Macht und des kulturellen Status der Frauen einherging, war nicht, wie manchmal behauptet wird, eine natürliche Begleiterscheinung des Übergangs zu komplexeren und zentralisierten Formen der sozialen Organisation (S. 196ff).

Die Domestizierung der Frau und die Dehumanisierung des Mannes

Die Domestizierung von Frauen – d. h. die Verwendung von Frauen, um Männern zu dienen und sich für sie fortzupflanzen wie Haustiere, z. B. Kühe oder Esel – war für Männer noch in einer anderen grundlegenden Hinsicht schwerwiegend. Denn mit dem Versuch, Frauen in männliches Eigentum zu verwandeln, war auch der Versuch verbunden, Männer von voll empfindungsfähigen und bewussten menschlichen Wesen in psychosexuelle Automaten zu verwandeln: androkratisierte Männer, die persönliche und sexuelle Beziehungen aufrechterhalten, dulden und sogar genießen konnten, die nicht auf gegenseitigem Nutzen und Fürsorge, sondern auf einseitiger Ausbeutung und Unterdrückung beruhten.

Sexuelle Ohnmacht

Das führte zu ›Sexueller Ohnmacht‹, die Ohnmacht, echte sexuelle und emotionale Erfüllung zu empfinden. Was wir heute über sexuell obsessive und zwanghafte Verhaltensweisen lernen, ist, dass sie im Allgemeinen auf die Unfähigkeit zurückzuführen sind, körperliche Empfindungen und die ganze Bandbreite von Gefühlen zu erleben. Mit anderen Worten: Hinter dem scheinbar unersättlichen Appetit vieler Römer auf Sex und Grausamkeit – ihren berühmten Sexorgien und den sadistischen Sexualpraktiken einiger ihrer Kaiser – verbirgt sich eine dominante psychosexuelle Panzerung, die das volle Erleben körperlicher und emotionaler Empfindungen effektiv blockiert (S. 204ff.).

Es ist dieselbe psychosexuelle Panzerung, die Männer in unserer Zeit weiterhin zu immer mehr sexuellen Eroberungen, zur ›Erregung‹ der Kriegsführung und zu all den anderen verzweifelten Zwängen treibt, die sowohl den Krieg als auch den Krieg der Geschlechter anheizen. Es ist diese Panzerung – und die brodelnden Frustrationen, die einer dominanten/beherrschten Art der Strukturierung menschlicher Beziehungen innewohnen -, die in unserer Zeit immer noch ihren Ausdruck in den Massenmedien findet. Und es ist auch diese psychosexuelle Panzerung, die durch eine moderne Pornoindustrie zum Ausdruck gebracht und gefördert wird, in der uns die gewalttätige Beherrschung und Erniedrigung von Frauen durch Männer als aufregende und sexuell erregende Unterhaltung präsentiert wird.

Die Umwandlung unserer Mythen

Alte Mythen aus früheren Generationen wurden mit der Ausbreiten auf Dominanz basierenden Kulturen umgewandelt. Diese veränderten Mieten lehren uns, dass mutig zu sein bedeutet, sein Leben zu riskieren, um zu töten (wie es Männern beigebracht wurde), und nicht, sein Leben zu riskieren, um zu gebären (wie es Frauen tun). Sie lehren uns, dass es für Männer das edelste Ziel ist, frei zu sein, während es für Frauen eine schändliche Beleidigung ist – ein Schimpfwort, das sexuell ›freien‹ Frauen an den Kopf geworfen wird. Um unsere Realitäten zu ändern, müssen wir auch unsere Mythen ändern (vgl. die berühmte Geschichte von Theseus, Ariadne und dem Minotaurus, S. 220ff.).

Sex, Eros und Thanatos

Diese Sehnsucht von Männern und Frauen nach einer Männlichkeit, die nicht mit Eroberung und Beherrschung identifiziert wird, erklärt wahrscheinlich zum Teil auch die enorme Popularität eines anderen religiösen Mythos über einen sensiblen und fürsorglichen Mann bis heute: die christliche Geschichte von Tod und Auferstehung Jesu Christi.

Nur ist jetzt, in einer seltsamen Burleske der alten heiligen Ehe, in der die Göttin eine so aktive und kreative Rolle spielte, seine Mutter nicht mehr als ein völlig passiver Babycontainer. In Übereinstimmung mit der männlichen Usurpation der traditionellen (und klar erkennbaren) Verbindung von Geburt mit Geschlecht und Frau wird das heilige Kind hier vollständig von seinem Vater gezeugt, ohne irgendetwas wie Geschlechtsverkehr, geschweige denn sexuelle Lust. Und obwohl seine Mutter immer noch gemeinhin als Heilige Mutter oder Mutter Gottes bezeichnet wird, ist sie im Gegensatz zu Jesus und seinem mächtigen Vater nicht mehr göttlich (S. 237).

Masochismus und das menschliche Bedürfnis nach Liebe

Die einzige Möglichkeit, alte religiöse Traditionen in einer Welt chronischer Gewalt und religiöser Verfolgung zu bewahren, wäre also die gleiche Methode gewesen, die spätere ›Ketzer‹ anwandten: in den Untergrund zu gehen und alte Praktiken in ›Mysterienkulten‹ fortzusetzen, deren Geheimcodes nur Eingeweihten bekannt waren, die einen Eid ablegten, die Bedeutung der Symbole und Riten, die sie gelehrt wurden, niemals preiszugeben.

Dennoch ist die frühere Verschmelzung des Sexuellen und des Spirituellen sowohl in den östlichen als auch in den westlichen mystischen Traditionen bis zum heutigen Tag offensichtlich. Die mystische Suche – die Suche nach dem, was Mystiker manchmal das Absolute nennen – scheint eine einzigartig menschliche Erfahrung zu sein. Das Gleiche gilt für den mystischen oder ekstatischen Zustand, von dem gesagt wird, dass er denjenigen, die ihn erleben, ein Gefühl von unbeschreiblichem inneren Frieden, Glückseligkeit und sogar Zugang zu Heilkräften verschafft, zusammen mit einem Gefühl der Einheit oder des Einsseins mit dem, was Mystiker über die Jahrhunderte hinweg als göttliche Liebe bezeichnet haben.

Tanz und Ektase

Die Kunst des Paläolithikums, des Neolithikums und des minoischen Kretas deutet darauf hin, dass wahrscheinlich schon sehr früh in der westlichen Kultur getanzt wurde, um mystische (oder, wie wir es heute manchmal nennen, schamanische) Trancezustände zu erreichen. Seit dem Altertum haben die Menschen auch Meditation, Atemübungen, Halluzinogene, Fasten und Schlafentzug eingesetzt, um erhöhte oder veränderte Bewusstseinszustände zu erreichen. Und wie wir gesehen haben, gibt es deutliche Hinweise darauf, dass auch sexuelle Ekstase einst ein wichtiges Mittel war. Diese uralte Erkenntnis, dass Sex mit dem einhergeht, was wir heute einen veränderten Bewusstseinszustand nennen, und sogar darüber hinaus, dass die sexuelle Vereinigung von Frau und Mann ein Weg zu spiritueller Glückseligkeit und Erleuchtung sein kann, ist in vielen östlichen religiösen Traditionen noch immer präsent (S. 240ff.).

Tantra: Die mystische Reise und die geheimnisvolle Kraft des Sex

Von besonderem Interesse sind die tantrischen Lehren des Hinduismus, in denen die weibliche Sexualität keineswegs passiv ist, sondern nach wie vor als das energetisierende Prinzip des Universums verehrt wird. Besonders aufschlussreich ist, dass der tantrische Yoga in Indien um die Mitte des elften Jahrhunderts als Volksbewegung entstanden sein soll, die, wie Georg Feuerstein in Yoga: Die Technologie der Ekstase schreibt, «aus den Kasten am unteren Ende der indischen Gesellschaftspyramide hervorging» – denselben Kasten, in die die indoeuropäischen Eroberer die frühere, die Göttin verehrende indische Bevölkerung einsperrten. Wenn wir den tantrischen Yoga in diesem größeren historischen Kontext betrachten, sehen wir, dass es kein Zufall ist, dass der Tantrismus aus diesen Kasten kam. Zunächst einmal weicht der Tantrismus stark von den arischen Aspekten der vedischen Lehren ab, die besagen, dass das ultimative Ziel der menschlichen Existenz die Transzendenz dieses irdischen Bereichs ist (eine äußerst bequeme Lehre, um unterdrückte Menschen von dem Versuch abzuhalten, ihre irdische Situation zu ändern). Am wichtigsten ist, wie Feuerstein schreibt, dass der tantrische Yoga «eine Reihe von Mitteln [Mythen und Riten] einführte, die bis dahin aus dem spirituellen Repertoire des Mainstream-Hinduismus ausgeschlossen waren, insbesondere die Göttinnenverehrung und die Sexualität» (S. 244ff.).

WO STEHEN WIR UND WIE GEHT ES WEITER?

Wir sind heute noch am Leben! Diese menschliche Fähigkeit und Zähigkeit geben uns die realistische Hoffnung, dass wir an diesem kritischen Punkt der Menschheitsgeschichte ein soziales System schaffen können, das ausgewogener und weniger wahnsinnig ist – eines, in dem Gewalt und Herrschaft zusammen mit sexueller und spiritueller Dysfunktion nicht länger als ›der Lauf der Dinge‹ angesehen werden (S. 265).

Es ist notwendig, alle unsere intimen Beziehungen unter die Lupe nehmen: nicht nur unsere sexuellen Beziehungen, sondern auch die Beziehungen zwischen Kindern und denjenigen, die für ihre Betreuung verantwortlich sind. Denn durch diese grundlegenden Beziehungen, die Berührungen mit dem Körper beinhalten, erwerben wir viele der Bausteine für spätere Muster partnerschaftlicher oder dominanter Beziehungen sowohl in unserem sexuellen als auch in unserem nichtsexuellen Leben. Es ist ebenfalls notwendig, einen neuen Blick auf die zeitgenössischen Entwicklungen werfen, nicht nur in der Sexualität und Spiritualität, sondern auch in Politik, Wirtschaft, Technologie, Bildung, Kommunikation und anderen wichtigen Aspekten unseres Lebens. Und wir werden die Theorie der kulturellen Transformation weiter ausbauen, indem wir untersuchen, wie Schmerz und die Bedrohung durch Schmerz auf der grundlegendsten körperlichen Ebene einem Herrschermodell der sozialen und ideologischen Organisation innewohnen.

Der menschliche Körper

Riane Eisler betont an dieser Stelle die Wichtigkeit etwas anzusprechen, das in den Diskussionen über persönlichen und sozialen Wandel im Allgemeinen immer noch ignoriert wird: der menschliche Körper. Denn auf das Wesentliche reduziert, dreht sich der soziale und persönliche Wandel um Fragen, die den menschlichen Körper direkt betreffen. Es geht darum, wie wir unseren Körper sehen, sowohl unseren eigenen als auch den der anderen. Sie dreht sich um die Frage, wer die Macht haben sollte, diese Bilder zu definieren. Es geht darum, wie wir berührt werden und wie wir wiederum die Körper anderer berühren (S. 269).

Die Politik des Körpers

Wie wir uns den menschlichen Körper vorstellen, spielt eine zentrale Rolle dabei, wie wir uns die Welt vorstellen – und dass dies wiederum direkte Auswirkungen darauf hat, wie wir uns selbst in Bezug auf beide sehen. Wie wir uns unsere Körper als Frauen und Männer vorstellen. Ich begann auch zu verstehen, dass die Art und Weise, wie wir unsere Körper betrachten, was wir mit unseren Körpern tun und wer die Macht hat, über beides zu entscheiden, auf einer viel tieferen Ebene als zuvor äußerst politisch ist.

Die Art und Weise, wie wir uns die Beziehungen zwischen Körpern vorstellen – und vor allem, wie wir diese Beziehungen in unserem eigenen Körper erleben – ist nicht nur eine Metapher für die Politik in ihrer grundlegendsten Bedeutung der Art und Weise, wie Macht definiert und ausgeübt wird. Auf diese Weise lernen wir zunächst unbewusst, wie sich unsere Körper in allen Beziehungen verhalten sollen, sowohl in dem, was traditionell als die öffentliche, als auch in der privaten Sphäre definiert wurde, und stellen dies immer wieder neu her. Wenn wir schon früh in unseren intimen Eltern-Kind-Beziehungen und dann in unseren intimen sexuellen Beziehungen darauf konditioniert werden, Herrschaft und Unterwerfung als normal zu akzeptieren, werden sich diese Muster unbewusst auf alle unsere Beziehungen auswirken. Wenn wir dagegen schon früh in unseren Eltern-Kind-Beziehungen und dann in unseren sexuellen Beziehungen gegenseitigen Respekt und Fürsorge lernen und kontinuierlich praktizieren, wird es für uns sehr schwierig sein, uns in ein soziales System von Gewalt und Angst gestützter Herrschaftsordnung einzufügen ( S. 270).

Die Instrumentalisierung des Körpers

Das Dominante System führte dazu, dass die Frauen selbst ihren Körper allmählich aus einer männlichen, vom Diktat eines Herrschaftssystems geprägten Perspektive sahen. Doch nicht nur Frauen, sondern auch Männer waren von dieser fremdbestimmten, instrumentellen Sicht auf den menschlichen Körper zutiefst betroffen. Denn nun wurden die Körper aller Frauen und der meisten Männer im Hinblick auf die Bedürfnisse und Wünsche derjenigen betrachtet, die über die größte Macht verfügten, die Körper anderer zu verletzen und somit Kontrolle über sie auszuüben. Darüber hinaus wurde in diesen äußerst kriegerischen antiken Gesellschaften die Masse der Männer als Instrument dieser Männerelite für Machtkämpfe angesehen,

Aus diesem Grund wurde der hochmuskulöse, gepanzerte, harte männliche Körper des in den griechischen Heldenepen gefeierten Kriegers zusammen mit einer ebenso gepanzerten männlichen Psyche zur idealen Norm für Männer, die im Gegenzug für die Opferung ihres eigenen Körpers die Körper gefangener Frauen erhielten.

Die soziale Konstruktion von weiblicher und männlicher Sexualität

Denn wenn der eine Körper nur dazu da war, dem anderen zu dienen – ihm Pflege, Vergnügen und Nachkommenschaft zu schenken -, dann lieferte dies nicht nur eine grundlegende Vorlage für alle Rangordnungen zwischen Über- und Unterlegenen; es legte auch eine bestimmte Sichtweise fest, wie sich die Körper von Frauen und Männern in ihren intimsten sexuellen Beziehungen verhalten sollten.

Diese Bilder vom menschlichen Körper und davon, wie zwei menschliche Körper auf eine Art und Weise „lustvoll“ miteinander in Beziehung treten, die für einen der beiden physisch und/oder psychisch schmerzhaft ist, vermitteln anschaulich eine soziale Organisation, in der die höchste Macht die durch die Klinge symbolisierte Macht ist: die Macht, Schmerz zu verursachen und zu zerstören. Darüber hinaus konditionieren sie uns dazu, menschliche Beziehungen unbewusst so darzustellen, dass jemand dominiert und jemand dominiert wird.

Askese und Sadomasochismus

Es gibt viele andere Möglichkeiten, uns gesellschaftlich zu konditionieren, um in den Worten des ehemaligen Jesuitenpaters Don Hanlon Johnson zu sagen, dass wir unseren ›Oberen‹ nicht nur in der Einstellung, sondern auch sinnlich gehorsam werden sollen.

Ein Großteil der religiösen Askese (die Johnson mit sexuellem Sadomasochismus in Verbindung bringt) ist ebenfalls eine wirksame Methode, den Körper an Dominanz und Unterwerfung zu gewöhnen. Hinzu kommt die Bedrohung durch ewige körperliche Schmerzen, die in einigen Herrscherreligionen anzutreffen ist. Wie Johnson schreibt, besteht eine «tiefe Quelle des katholischen Autoritarismus» darin, dass «man für immer in seinem eigenen Fleisch brennen kann». Denn, wie er anmerkt, «wenn Leiden in dieser Größenordnung auf dem Spiel stehen, kommt Demokratie nicht in Frage», da es viel zu riskant ist, sich auf die eigenen (vermutlich fehlerhaften, durch die ›Erbsünde‹ befleckten) Entscheidungen und Wahrnehmungen zu verlassen, anstatt auf eine höhere (vermutlich göttlich verordnete) Autorität (S. 271ff.).

Schmerz, Freude und das Heilige

Ich begann zu erkennen, dass meine wichtigsten und am tiefsten empfundenen spirituellen Momente – die Momente, in denen ich das unaussprechliche Staunen und die Ehrfurcht vor dem Mysterium des Lebens am intensivsten spürte – nicht aufgrund meiner gesellschaftlichen Konditionierung, das Heilige mit einer allmächtigen, ewig urteilenden Entität zu assoziieren, möglich waren, sondern trotz dieser Konditionierung. Ich begann auch zu erkennen, dass spirituelle Entwicklung nicht etwas ist, das sich von irdischen Vergnügungen wie sexueller Ekstase und liebevoller Berührung – sei es durch ein Kind oder einen Liebhaber – unterscheidet. Im Gegenteil, ich begann allmählich zu verstehen, dass diese Erfahrungen den Kern meiner eigenen spirituellen Entwicklung ausmachten. Und ich begann auch zu verstehen, nicht nur auf einer theoretischen, sondern auch auf einer erfahrungsmäßigen Ebene, wie dringend notwendig es war, das zu entwirren, was mir über Vergnügen und Heiliges beigebracht worden war.

Wenn ich also von einer partnerschaftlichen und nicht von einer dominanten Spiritualität spreche, dann in diesem ganzheitlichen Sinne des Wortes, in dem das, was auf dieser Erde und in unserem eigenen Körper und dem der anderen geschieht, nicht von unserem so genannten höheren Selbst abgekoppelt ist.

Am interessantesten und für das, was wir erforschen, relevant ist, dass der sexuelle Orgasmus auch zunehmend als ein veränderter Bewusstseinszustand anerkannt wird – und das ist er auch. Wie Julian Davidson in The Psychobiology of Consciousness schreibt (S. 277ff.).

Die Sehnsucht nach Bindung

Wenn, wie es den Anschein hat, die Entwicklung der menschlichen Sexualität und unsere sehr lange Zeit der Abhängigkeit in der Kindheit zu unserer einzigartig starken menschlichen Sehnsucht nach Bindung geführt haben – und damit zu dem großen Vergnügen, das wir Menschen daraus ziehen, zu lieben und geliebt zu werden -, dann ist eine soziale Organisation, die mehr auf Partnerschaft als auf Herrschaft ausgerichtet ist, kongruenter mit unserer biologischen Evolution.

Aber es ist eine Sache, dies zu sagen, und eine ganz andere, zu behaupten, dass wir zwangsläufig Erfolg haben werden. Die Transformation wird durch tief verwurzelte kulturelle Muster und Institutionen blockiert.

Was wir brauchen, sind genügend Knötchen des transformativen Wandels, um – in der Sprache der nichtlinearen Dynamik – einen neuen „Attraktor“ zu bilden, der das System – während es sich im Fluss befindet – in einer neuen Grundkonfiguration wiederherstellen kann.

Aus der Trance des Dominators erwachen

Selbst wenn es möglich wäre, ein gerechteres und faireres politisches und wirtschaftliches System zu schaffen, ohne auf unsere persönlichen Beziehungen zu achten – was natürlich nicht möglich ist -, würde uns immer noch das fehlen, was wir Menschen so leidenschaftlich wollen und brauchen: die Erfüllung wahrhaft liebevoller und fairer intimer Beziehungen, die auf gegenseitigem Respekt, Fürsorge und Vertrauen beruhen.

Seit Tausenden von Jahren wurde unser menschliches Bedürfnis nach Verbundenheit – nach Bindungen, die durch Liebe und Vertrauen und nicht durch Gewalt und Angst vor Schmerz entstehen – verzerrt und unterdrückt. Nur durch die Umwandlung der Beziehungen zwischen Frau und Mann in einen „Krieg der Geschlechter“, in dem Frauen als minderwertig und gefährlich für Männer gelten, und durch die Konditionierung sowohl von Frauen als auch von Männern, Herrschaft durch Missbrauch und Gewalt in Eltern-Kind-Beziehungen zu akzeptieren und zu dulden, konnte ein System starrer Rangordnungen aufrechterhalten werden.

«Die egalitäre Familie, in der sich Mann und Frau die Autorität teilen und in der sich die Demokratie bis zu einem gewissen Grad auch auf die Kinder erstreckt, ist eine moderne Erfindung» – oder besser gesagt eine Neuerfindung, da diese Aussage nur für die aufgezeichnete oder dominante Geschichte gilt und auch die partnerschaftlich orientierten Familien in einigen zeitgenössischen Stammesgesellschaften außer Acht lässt (S. 295).

Die Familie, die Menschenrechte und die Trance des Herrschers

Darüber hinaus gibt es eine ständige Interaktion zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich, die beide sozial konstruiert sind, um den Anforderungen eines bestimmten sozialen Systems zu entsprechen.

Hier werden die Denk-, Fühl- und Beziehungsmuster, die uns zur Gewohnheit werden, zuerst erworben. Durch unsere intimen Beziehungen – Beziehungen, die direkten Körperkontakt oder Berührung beinhalten – werden diese Gewohnheiten nicht nur in unserem Geist, sondern auch in unserem Körper, in unseren neuronalen und muskulären Mustern verankert. Durch diese Beziehungen werden diese Gewohnheiten auch täglich verstärkt. Einfach ausgedrückt: Durch unsere intimen Beziehungen, insbesondere in der Kindheit, wenn wir zum Überleben völlig von Erwachsenen abhängig sind, lernen wir zuerst, entweder die Menschenrechte anderer zu respektieren oder Menschenrechtsverletzungen als ›einfach so‹ zu akzeptieren.

Die meisten Menschen, die von Kindheit an darauf konditioniert sind, chronische Menschenrechtsverletzungen als normal zu akzeptieren, werden wahrscheinlich keine Gesellschaft schaffen, in der die Menschenrechte nicht auch chronisch verletzt werden. Ein wichtiger Grund dafür ist der psychologische Mechanismus der Verleugnung – die Verdrängung authentischer menschlicher Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Erfahrungen aus Angst ins Unbewusste -, der die Akzeptanz und sogar die Idealisierung missbräuchlicher und gewalttätiger Beziehungen sowohl auf Seiten der Beherrschten als auch auf Seiten der Beherrschten möglich macht (S. 305).

Moderne Geschichte und die Geschichte der intimen Beziehungen

Mit anderen Worten, es gibt zahlreiche Daten, die zeigen, dass diese Gewalt nicht nur symptomatisch für eine gelegentliche individuelle Pathologie war, sondern für eine soziale Pathologie – oder genauer gesagt, für die Forderung des Herrschersystems, dass die Menschen von Kindheit an gelehrt werden müssen, sich durch die Angst vor körperlichen Schmerzen der Autorität anzupassen.

Die meisten Wissenschaftler erkennen außerdem an, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern während eines Großteils der aufgezeichneten Geschichte an der Tagesordnung gewesen zu sein scheint. Auch wenn es uns schwer fällt, dies zu akzeptieren, gibt es Hinweise darauf, dass dies oft als normal angesehen wurde (S. 302).

Missbrauch und Gewöhnung

Aber im Falle einer chronisch missbrauchenden Kindheit wird diese Ersetzung der eigenen durch die Sichtweise eines anderen zur Gewohnheit. Selbst der eigene Missbrauch, der eigene Schmerz und die eigene Empörung über eine solche Ungerechtigkeit werden allmählich unwirklich, in die tiefsten Tiefen des Unterbewusstseins verdrängt oder – wie zur Aufrechterhaltung eines Herrschersystems erforderlich – als die Art und Weise, wie die Dinge sein sollen, legitimiert.

Die kulturelle Trance der Konformität hat die Menschen lange Zeit darauf konditioniert, ungerechte Institutionen, unterdrückerische Führungspersönlichkeiten und verzerrte Bilder und Rollenmodelle zu akzeptieren, zu rationalisieren und – in seinen Worten – zu ›legitimieren‹.

Es gibt sicherlich zahlreiche Belege dafür, dass Menschen, die in Familien aufwachsen, in denen starre Hierarchien und schmerzhafte Bestrafungen die Norm sind, lernen, die Wut auf ihre Eltern zu unterdrücken.

Die Verquickung von ›Pflege‹ und ›Schmerz‹

Diese Art der Verquickung lässt sich am besten am Beispiel chinesischer Mädchen darstellen. Das Fesseln der Füße als Praxis, um für den zukünftigen Ehemann attraktiv zu sein, lehrte sie zu akzeptieren, dass dieselbe Berührung (der Mutter), die sie mit Liebe und Vergnügen assoziierten, auch die Zwangsberührung sein sollte, die ihnen so unerträgliche Schmerzen bereitete.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Fesseln der Füße chinesischer Mädchen dazu diente, die Frauen darauf zu konditionieren, eine Rolle zu akzeptieren, in der sie sich ihr ganzes Leben lang automatisch den Männern und den männlichen Wünschen sowie all jenen, die eine Autoritätsposition innehaben, unterordnen mussten. In diesem Sinne erzeugte es buchstäblich das, was wir, um Bergholds Begriff zu erweitern, eine Herrschertrance nennen können, die eine herrschsüchtige Denk- und Lebensweise als die einzig wahre, reale und kosmisch begründete Realität legitimierte. Sie diente den Frauen auch dazu, einen Teil ihrer Wut und ihres Schmerzes unbewusst abzulenken, und zwar nicht gegen diejenigen, deren grausame Wünsche sie umsetzten, sondern gegen andere Frauen – insbesondere gegen ihre eigenen Töchter – ein verblüffendes Beispiel dafür, wie Verleugnung zur Aufrechterhaltung der eigenen Unterordnung beitragen kann. Das menschliche Bedürfnis nach Liebe wird mit Unterwerfung und Schmerz verbunden.

Der Vorwärtsschub und der Rückwärtszug

In manchen Fällen ist das Zusammentreffen von Fürsorge und Verletzung in erster Linie psychologischer Natur. Aber selbst dann ist es aufgrund der Art und Weise, wie unser Körper auf psychologischen Missbrauch mit der Entwicklung von muskulären und neuronalen Mustern reagiert, auch physisch.

Wir müssen die massenhafte Reproduktion der kulturell bedingten Denkweise verhindern, die Missbrauch und Gewalt als unvermeidlich erscheinen lässt, während gleichzeitig Missbrauch und Gewalt durch psychologische Dynamiken wie Scham und Verleugnung unsichtbar gemacht werden.

Denn diese besondere Veränderung brachte eine Einsicht, die wir heute als selbstverständlich ansehen: dass wir schmerzhafte Ereignisse in unserer Kindheit verstehen müssen, insbesondere innerhalb der Psychodynamik unserer Familien, wenn wir die Art und Weise, wie wir denken, fühlen und handeln, verstehen und erfolgreich ändern wollen (S. 312).

Die soziale Konstruktion von Sexualität

Eine soziale Konstruktion von Sexualität, die auf der Kontrolle von Frauen durch Männer beruht, konditioniert die Menschen auch dazu, die Kontrolle eines Individuums oder einer Gruppe durch eine andere als natürlich zu betrachten. Und dies wiederum geschieht auf der grundlegendsten körperlichen Ebene, durch noch weitere Varianten des Zusammentreffens von Schmerz und Lust – und damit auch von Fürsorge und Verletzung -, das das Wesen der Dominanz- statt der Partnerschaftssexualität ausmacht.

Menschen, die durch ihre Familien, Peer-Groups und andere Kindheitserfahrungen dazu sozialisiert wurden, auf Gewalt und Angst basierende Rangordnungen als natürlich anzusehen, neigen auch dazu, Herrschaft und Unterwerfung zu erotisieren.

Die soziale Konstruktion von Sexualität und die soziale Konstruktion von Geschlechterrollen und -beziehungen sind untrennbar miteinander verwoben, und beide wirken sich auf alle sozialen Institutionen aus und werden von ihnen beeinflusst (S. 319).

Der Kampf um Sex, Bewusstsein und unsere Zukunft

Ich kann dies nicht genug betonen. Unter dem Deckmantel der sexuellen (oder jeder anderen) Freiheit ist es für diejenigen, die Macht haben, leicht, diejenigen, die sozial entmachtet wurden, effektiver zu beherrschen. Wir sehen dies in nicht-sexuellen Beziehungen, wo das ›freie Unternehmertum‹ allzu oft als Deckmantel für die Beherrschung und Ausbeutung von wirtschaftlich benachteiligten Gruppen wie Minderheiten und Frauen dient.

Und wir sehen es in den sexuellen Beziehungen, wo die ›sexuelle Freiheit‹ nur allzu oft zu noch ausbeuterischerem Sexualverhalten geführt hat, da Frauen unter Druck gesetzt werden, Männern sexuell zur Verfügung zu stehen, nur weil sie zum Essen eingeladen wurden – und manchmal zum Sex gezwungen werden, wenn sie sich weigern (S. 326). Wir müssen besser verstehen, wie und warum Dominanz und Gewalt erotisiert und sogar, unter dem Deckmantel der Spiritualität, geheiligt wurden.

Bondage oder Bonding Sex, Spiritualität und Verdrängung

Die meiste Zeit meines Lebens war mir der Zusammenhang zwischen sexueller und politischer Unterdrückung praktisch nicht bewusst, und noch weniger, wie stereotype Geschlechterrollen, die sowohl Sex als auch Spiritualität verzerren, uns an Herrschaft gewöhnen können.

Die Erotisierung der Herrschaft ist ein großes Hindernis im modernen Kampf um eine freie und gleiche Gesellschaft. Wir müssen besser verstehen, wie und warum Dominanz und Gewalt erotisiert und sogar, unter dem Deckmantel der Spiritualität, geheiligt wurden (S. 331).

Sex, Religion und Dominanz

Es war die christliche Kirchenhierarchie, die, wie Ranke-Heinemann schreibt, «den Sex zum Ort der Sünde schlechthin» erklärte, die Frau zur ständigen Gefahr für den Mann erklärte und ein Edikt nach dem anderen erließ, um die Männer mit den unglaublichsten repressiven und brutalen Mitteln vor der Sexualität der Frauen zu ›schützen‹.

Aber die ständige Assoziation der Kirche von Sex nicht mit Vergnügen, sondern mit ewiger Strafe und Schmerz war nicht nur ein Weg, Männer von Frauen zu entfremden und damit die männliche Dominanz zu rechtfertigen und aufrechtzuerhalten; sie diente auch dazu, Männer von ihrem eigenen Körper, ihren eigenen Gefühlen und vor allem von ihrem menschlichen Bedürfnis nach liebevoller Verbindung zu entfremden. Auf diese Weise wurde nicht nur die Sexualität von Männern und Frauen verzerrt, sondern Männer und Frauen wurden auch darauf konditioniert, ihr grundlegendstes menschliches Bedürfnis nach Verbindung (das Bedürfnis nach Sex und Liebe) so zu verzerren, dass sie Dominanz, Zwang und Unterdrückung akzeptieren (S. 336).

Die zwanghafte Kontrolle des Körpers

Und es ist diese Kontrolle über den Körper der Menschen, die die ultimative Stütze der sozialen Organisation der Herrscher ist. Ganz im Gegenteil, die Kirche widmet jedem denkbaren und unvorstellbaren Aspekt des Sexes ihre Aufmerksamkeit. Kurz gesagt, was wir unter dem Deckmantel der Spiritualität finden, ist in Wirklichkeit eine Besessenheit von Sex. In gewisser Weise ist dies nicht überraschend, da es der Kirche durch ihre Betonung des lebenslangen Zölibats zweifellos gelungen ist, viele chronisch frustrierte und daher sexuell fixierte Männer hervorzubringen. Aber die Art und Weise, wie diese Männer auf Sex fixiert waren, ist der Schlüssel. Was die Kirche durch ihre ständige Assoziation von Sex mit den schrecklichsten göttlichen Strafen getan hat, ist, dass sie, wieder einmal unter dem Deckmantel der Spiritualität, Herrschaft und Gewalt effektiv erotisiert hat.

Auch wenn es also darum ging, sexuelle Lust zu verbieten und nicht, wie in der Pornographie, sie zu erlangen, hat auch die Kirche Sex ständig mit Gewalt und Herrschaft in Verbindung gebracht (S. 339ff.).

Die sexuelle Sklaverei der Frauen

Aber für die meisten Frauen des Adels und später des Bürgertums war es der erwartete Beruf und oft die einzige Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, zu heiraten und verheiratet zu bleiben, egal wie miserabel oder sogar brutal ihre Situation auch sein mochte. Dass es einigen Frauen und Männern dennoch gelang, relativ gleichberechtigte Beziehungen zu führen, und dass es trotz alledem zwischen vielen Ehefrauen und Ehemännern echte Zuneigung gab, zeugt einmal mehr von der großen Kraft der menschlichen Sehnsucht nach fürsorglicher Verbundenheit.

Kurzum, es ändert nichts an der Tatsache, dass die Ehe während eines Großteils der aufgezeichneten Geschichte eine gesetzlich sanktionierte Form der sexuellen Sklaverei von Frauen war. Hier kommen wir wieder auf die geschlechtsspezifische Doppelmoral zurück, und damit auch auf die Doppelmoral bei der Sklaverei. Wenn man Sklaverei sagt, schrecken die meisten Menschen heute entsetzt zurück.

Aber wenn man von der sexuellen Versklavung der Frau spricht, sind viele Menschen auch heute noch nur gekitzelt. Was es hervorruft, ist nicht Empörung über Grausamkeit und Ungerechtigkeit, sondern sadomasochistische pornografische Fantasien. Unfreiwillige Knechtschaft ist eindeutig Sklaverei, ob die Dienste nun sexuell sind oder nicht. Aber die Erotisierung von Herrschaft hat uns darauf konditioniert, die sexuelle Versklavung von Frauen durch Männer nicht nur als normal, sondern als aufregend zu akzeptieren (S. 348).

Sexuelle und politische Unterdrückung

Reich veröffentlichte 1933 sein Meisterwerk, Die Massenpsychologie des Faschismus. Darin stellte er fest, dass eines der wirksamsten Mittel, mit denen sich repressive Systeme historisch aufrechterhalten haben, die autoritäre Familie ist, die «die Fabrik ihrer Struktur und Ideologie» ist, und insbesondere die ›sexuelle Unterdrückung‹. Er stellte auch fest, dass der Faschismus „kein modernes Phänomen, sondern eines mit tiefen historischen psychosexuellen Wurzeln» sei.

Die kritischen Faktoren in politisch repressiven Gesellschaften sind erstens die Unterdrückung der weiblichen sexuellen Freiheit und zweitens die Verzerrung sowohl der männlichen als auch der weiblichen Sexualität durch die Erotisierung von Herrschaft und Gewalt (S. 354).

Sadomasochismus, Rebellion und Unterwerfung

Dennoch versuchen einige dieser Leute immer noch, die sexuelle Beherrschung von Frauen durch Männer zu rechtfertigen, indem sie behaupten, dass dies das ist, was Frauen wollen – mit anderen Worten, womit sie einverstanden sind. Tatsächlich vertreten sie manchmal den Standpunkt, dass Feministinnen, die gegen pornografische Bilder der sexuellen Beherrschung und Ausbeutung von Frauen protestieren, unweiblich und antisexuell sind – anstatt anzuerkennen, dass das, wogegen diese Feministinnen protestieren, kaum sexuelles Vergnügen ist, sondern der Gebrauch von Sex, um unbewusste Muster der Beherrschung und Unterwerfung zu modellieren und einzuschärfen.

Objektiv gesehen scheint es völlig verrückt zu sein, sexuelle Freiheit mit sexueller Erregung durch das Anketten, Quälen, Erniedrigen und Entwürdigen anderer gleichzusetzen. Und im Sinne von Wahnsinn als Versagen in der Wahrnehmung der Realität ist es das auch.

Sicherlich ist es in einer Gesellschaft, in der bis vor kurzem die einzig akzeptable sexuelle Aktivität der heterosexuelle Geschlechtsverkehr in der Missionarsstellung war, verständlich, dass jede sexuelle ›Überschreitung‹ als ein Akt der persönlichen und sogar politischen Rebellion angesehen wird. Und da das Experimentieren mit sadomasochistischem Sex die Machtungleichgewichte offenlegt, die seit Jahrtausenden die sexuellen Beziehungen kennzeichnen, kann der Sadomasochismus (oder S/M, wie er manchmal genannt wird) zumindest für einige Menschen eine Etappe im Prozess der Bewusstmachung dessen sein, was sonst im Unbewussten verborgen ist.

Die Programmierung auf Dominanz und Unterwerfung

Nicht nur das, sondern die Gleichsetzung von sexueller Erregung mit dem Zufügen oder Erleiden von Schmerzen verstärkt dieselbe Art von psychosomatischer Dynamik, die wir bereits bei der Untersuchung des Zusammenspiels von Fürsorge und Schmerz in der Kindererziehung betrachtet haben. Sie verbindet Zwangsberührungen mit unserem menschlichen Bedürfnis nach körperlicher Verbindung und programmiert uns auf der grundlegendsten Ebene von Nerven und Muskeln darauf, angenehme körperliche Empfindungen mit Dominanz und Unterwerfung zu verbinden.

Spanking und Konditionierung

Durch die strafende Berührung des Gesäßes, die wir als ›Spanking‹ bezeichnen, werden Kinder oft effektiv darauf konditioniert, Kontrolle durch die Zufügung von Schmerz mit sexueller Erregung zu verbinden.

Ohne ein Ende der Institutionalisierung von Herrschaft und Unterwerfung in den persönlichen Beziehungen haben politische Institutionen, die auf demokratischen Idealen beruhen, keine solide Grundlage.

Denn die Art und Weise, wie repressive Kontrollen auferlegt und aufrechterhalten werden, geschieht letztlich durch die Kontrolle des menschlichen Körpers, durch die Angst vor Schmerz und die Angst vor dem Tod. Deshalb ist der menschliche Körper letztlich auch der Ort des Widerstands gegen die Unterdrückung – weshalb sadomasochistischer Sex keineswegs ein Akt der politischen Rebellion ist. Ganz im Gegenteil, es ist eine Art und Weise, wie Rebellion kooptiert und abgelenkt wird.

Kurz gesagt, was oberflächlich betrachtet wie eine Abweichung von der Norm (und damit eine Rebellion) aussieht, wird in Wirklichkeit zu einem Ausleben der Norm durch ein sexuelles Ritual der Beherrschung und Unterwerfung. Da sie uns unbewusst dazu bringt, Beziehungen von Herrschaft und Unterwerfung zu akzeptieren, an ihnen teilzunehmen und sie sogar zu suchen, kann die Erotisierung von Herrschaft und Unterwerfung nicht ignoriert werden.

Es hilft natürlich nicht, wenn wir uns selbst oder andere dafür beschimpfen, dass wir uns darauf konditioniert haben, Herrschaft und Unterwerfung zu erotisieren. Eine solche Gewöhnung schafft ein Muster, das einer Sucht ähnelt – eine, die körperliche Belohnungen (sexuelle Erregung und damit wahrscheinlich, wie bei anderen Süchten, die Ausschüttung von Endorphinen) für persönlich und sozial destruktive Verhaltensweisen beinhaltet.

Dies sind Anzeichen dafür, dass wir endlich Wege finden können, unsere Anhaftung an Denk-, Fühl- und Handlungsgewohnheiten hinter uns zu lassen, die uns daran gewöhnt haben, Schmerz mit Vergnügen und Bondage mit Bindung zu verwechseln ( Seite 357ff. – Position 4397).

Das Buch geht weiter … vielleicht ergänze ich später den fehlenden Teil.