Vaginaler Orgasmus: Märchen oder Realität? Gibt es den vaginalen Orgasmus wirklich? Ja!!! Definitiv.

Aber lass uns langsam an das Thema herangehen, denn die Orgasmusfähigkeit allgmein – und der vaginale Orgasmus insbesondere – ist ein sehr komplexes Phänomen. In diesem Artikel fasse ich  einige wichtige Fakten und Aspekte über dieses besondere Erlebnis zusammen. Zuallererst ist der Orgasmus eine Fertigkeit, die wir uns im Laufe des Lebens auf der Basis eines angeborenen Erregungsreflex durch verschiedene Lernschritte aneignen können. Sie besteht aus unterschiedlichen körperlichen sowie emotionalen und relationalen Komponenten, die miteinander verflochten sind. Lass uns gemeinsam schauen, was ein Orgasmus alles ist, was passiert im Körper und schließlich, welche sind die Voraussetzungen für einen ‚vaginalen‘ Orgasmus.

Was passiert im Körper beim Orgasmus?

Rein körperlich besteht der Orgasmus aus einer oder mehreren unwillkürlichen Kontraktionen des Beckenbodens. Der Höhepunkt ›kommt‹, wenn eine gewisse Schwelle überschritten wird. Wenn wir den so genanntenPoint of no Return‘ – den Punkt, wo es keinen Zurück gibt –  erreichen, tritt ein zweiter Reflex ein, der Orgasmus-Reflex. Ab diesem Moment können wir das Geschehen nicht mehr steuern. Der Körper übernimmt die Regie. Das passiert, wenn sich ausreichend  sexuelle Erregung aufgestaut hat, die sich nun in rhythmischen Kontraktionen des Beckenbodens entlädt. Der Beckenboden ist eine Muskelschicht, die bei der Frau die Vagina und beim Mann die Peniswurzel umschließt. Ich nenne diese Muskelschicht gerne ›dritte Hand‹, damit können wir uns ein Bild machen, wie sie beim Höhepunkt unwillkürlich auf und zu geht. Diese Muskeln können wir ebenfalls willkürlich aktivieren und das sollten wir auch immer wieder tun, um sie geschmeidig zu halten.

Und auf der emotionalen Ebene?

Auf der emotionalen Ebene bedeutet der Orgasmus, dass wir uns unseren Gefühlen hingeben, dass wir die Kontrolle loslassen. Es bedeutet, dass wir dem Körper und seinen Empfindungen die Regie überlassen. Dafür braucht es sexuelle Selbstsicherheit, die man sich über Erfahrungen angeeignet hat, sowie auch Vertrauen in sich selbst und in den*die Partner*in. Wir brauchen in diesem Moment von Kontrollverlust ganz klar das Gefühl, dass es OK ist. Wir brauchen auch die Gewissheit, dass unser Gegenüber uns in dem Höhepunkt der Leidenschaft halten kann und wird. Dass unsere Lust ihn*sie nicht überfordern wird und dass wir dafür nicht beschämt oder verurteilt werden. Darüber hinaus ist es für viele Menschen von Bedeutung, sicher zu sein, dass der*die Partner*in uns wirklich liebt und uns nicht im Stich lassen wird.

Individuelle Stimuli und Erfahrung braucht man für den Orgasmus

Was wir für das Erreichen des Höhepunkts brauchen, sind ganz unterschiedliche und individuell gelernte Stimuli, wie bspw. Berührungen am ganzen Körper sowie an den Genitalien, Brüsten, Mund etc. zusammen mit anderen sinnlichen Reizen und Fantasien. All diese Reize können die sexuelle Erregung zunächst auslösen und durch Wiederholung wachsen lassen. Der Weg zum Höhepunkt ist Teil eines Lernprozesses; das bedeutet, dass wir Schritt für Schritt das komplexe Zusammenspiel zwischen Körper und Hirn aufbauen, so dass uns unser Körper diese einzigartige Erfahrung ermöglichen kann. Dabei lernt jeder Mensch, bestimmte Reize für ihn als sexuell relevant zu erkennen, diese proaktiv zu suchen und bis zum Höhepunkt zu intensivieren. Das alles baut mit der Zeit sexuelle Selbstsicherheit und Selbstvertrauen auf. In der Regel benötigen wir auf der Beziehungsebene ein emotional stabiles und konfliktfreies Umfeld, in dem wir uns erlauben können loszulassen.

Orgasmus ist nicht gleich Orgasmus

Orgasmen sind nicht immer gleich. Jede Person erlebt es anders und je nach Situation, Partner*in und Lebensphase kann derselbe Mensch sehr unterschiedliche Erfahrungen damit machen.

In der Regel können wir Orgasmen wie folgt unterscheiden:

  • Punktuell vs. ganzkörperlich: die wohlige Empfindung ist umschrieben im Genitalbereich vs. sie erfasst den ganzen Körper
  • Druckabbau vs. ganzheitlich: das gute Gefühl beschränkt sich auf die Entspannung danach vs. eine Erfahrung, die Körper und Seele ergreift, währenddessen körperlich sehr befriedigend und ebenso emotional erfüllend ist
  • Mit vs. ohne Zusatz von Sex-Toys (Vibratoren): Vibratoren stimulieren hauptsächlich jene Rezeptoren, die für Vibrationen zuständig sind, während die anderen wenig Beachtung bekommen und bei ausschließlicher Nutzung in den Winterschlaf gehen (use it or loose it!) vs. neuronal für verschiedenste Stimuli empfänglich sein und damit die volle Bandbreite der Möglichkeiten nutzen
  • Durch penetrativen Sex vs. durch orale/ manuelle Stimulation
  • Durch Selbststimulation in Gegenwart des*der Partner*in vs. durch die andere Person
  • Durch eine Druckmodalität vs. im Wohlfühlmodus: viel Spannung und mechanische Bewegungen vs. größeres Repertoire an Bewegungen, Rhythmen und Berührungsqualitäten

Vergessen wir dabei nicht, dass jede*r für sich immer hauptverantwortlich für die eigene Erregung und dementsprechend für das Erreichen des Orgasmus ist und bleibt. Die goldene Regel lautet: 70/30. 70% sollte jede*r proaktiv danach suchen, 30% ist der Beitrag der anderen Person.

Druckmodalität vs. Wohlfühlmodus. Was ist das?

Ein Orgasmus kann sehr verschieden sein. Selbst die gleiche Person kann sehr unterschiedliche Erfahrungen haben, die sowohl in Intensität als auch in Dauer variieren.
Generell können wir sagen, dass je ›mechanischer‹ die sexuelle Modalität ist, desto ›punktueller‹ und weniger ganzkörperlich und reichhaltig fühlt sich der Höhepunkt an.  Der so genannte ›Druckmodus‹ bedeutet, dass es wenig Variationen in der Stimulation der Genitalien und des gesamten Körpers gibt, der Körper ist in sich wenig beweglich, vor allem im Becken, in der Schulterpartie, im Nacken und steht unter großer Spannung. Im Gegensatz dazu nutzt ein Mensch im Wohlfühlmodus die gesamte Bandbreite körperlicher Ressourcen in der Steigerung der Erregung: er bewegt sich geschmeidiger, atmet tiefer, drückt non-verbal Emotionen und Wohlgefühl aus, variiert die Rhythmen und vermeidet den Körper in Verspannung einzufrieren.

Was passiert sonst im Körper?

Orgasmen bewirken die Ausschüttung ganz verschiedener Hormone mit jeweils anderen Funktionen, wie zum Beispiel:

  • Testosteron (für Erregung und sexuelle Lust bei Männern und Frauen),
  • Östrogen (Feuchtigkeit und bessere Durchblutung),
  • Adrenalin und Noradrenalin (bessere Durchblutung),
  • Dopamin (beim Höhepunkt feuert es unser Belohnungssystem),
  • Oxytocin (Zusammenziehen der Gebärmutter und des Samenleiters. Es gilt als ›Bindungshormon‹),
  • Prolaktin (für Entspannung und Ruhe nach dem Höhepunkt),
  • Serotonin (für Zufriedenheit und Entspannung nach dem Sex).

Wofür ist sonst ein Orgasmus gut?

Der Orgasmus hat viele Vorteile. In der Regel tritt nach dem Höhepunkt eine tiefe Entspannung ein. Durch tiefe Entspannung und guten Schlaf können wir unseren Körper besser regenerieren. Orgasmen helfen bei körperlichen Problemen wie Spannungskopfschmerzen und Regelschmerzen sowie beim Abbau von Stress. Orgasmen wirken sich aufgrund der Ausschüttung von Dopamin und Co. auch positiv auf die Psyche aus. Auch die Beziehung profitiert von erfüllter Sexualität. Dies verbessert unsere Gesundheit.

Falsche Vorstellungen über den weiblichen Orgasmus

Das Thema weiblicher Orgasmus ist komplex. Es beginnt damit, dass zahlreiche Personen das weibliche Genital noch nicht einmal korrekt benennen oder beschreiben können. Der Außenteil ist die Vulva, die Vagina ist die Verbindung zwischen Vulva und Gebärmutter. Die wenigsten Frauen haben gelernt, ihre Vagina wahrzunehmen, sie zu ›besuchen‹ und zu ›bewohnen‹. Das verhindert den Aufbau einer neuronalen Autobahn zwischen Genital und Gehirn. Das ist die Voraussetzung dafür, dass frau angenehme und erregende Empfindungen in ihrer Vagina erleben kann. Hinzu kommt die nicht adäquate vaginale Stimulation beim mechanischen Sex im Druckmodus (sowohl beim partnerschaftlichen als auch beim Solo-Sex. Diese beide Faktoren – die ›unbewohnte‹ Vagina bei ausschließlicher Stimulation der Klitorisperle oberhalb der Vulva sowie mechanischer penetrativer Sex – verhindern lustvolle erregende Erlebnisse beim Sex.

Die Vagina aus dem Winterschlaf holen

Es ist möglich, die Vagina aus dem Winterschlaf zu holen. Durch vielfältige Berührungen innerhalb der Vagina werden verschiedene Rezeptoren stimuliert, darunter Teile des Klitorisorgans, die nur von innen stimuliert werden können. Diese taktilen Reize verbinden das Genital  mit dem Hirn, so dass  bewusste Wahrnehmung möglich wird.

Die Mehrheit der Frauen und ihre Partner*innen bleibt bei der Klitorisperle, dem Außenteil des Klitorisorgans. Dadurch versäumen viele Frauen, die Ressourcen ihrer Vagina zum Leben zu erwecken, darunter den größten Teil des Klitorisorgans, das nur durch die Vagina stimuliert werden kann.

Es ist genauso wichtig für Männer, ihren Erregungsmodus zu erweitern. Das bedeutet normalerweise weniger Verspannung im ganzen Körper, weniger harte und mechanische Bewegungen während der Penetration, mehr rhythmische Variationen und mehr Beweglichkeit im Becken.

Gibt es also den vaginalen Orgasmus?

Ja. Definitiv!!!

Der ›vaginale‹ Orgasmus erreicht frau durch verschiedene Stimuli. Frauen, die dazu in der Lage sind, haben gelernt mit ihrem Körper, ihre Vulva und Vagina lustvoll umzugehen:

  • sie bewegen ihr Becken so, dass die Klitorisperle (also der Außenteil des Klitorisorgans) mit stimuliert wird, meist ohne sie extra anzufassen
  • darüber hinaus stimulieren sie  über Beckenbewegungen den G-Bereich – der obere Teil der Vagina –  und die Klitorisschenkel. 
  • sie steuern willkürlich ihren Beckenboden, so dass ihre Vagina auf und zugeht, sie eine innere Massage bekommt, die die inneren tiefen Rezeptoren aktiviert.
  • sie bewegen ihr Becken und positionieren sich in dem für sie besten Winkel für eine optimale Stimulation
  • durch Mikrobewegungen und Spiel mit dem Beckenboden fördern sie die Durchblutung, physiologische Voraussetzung  für sexuelle Erregung und
  • vermeiden Verspannungen im Becken – die wiederum die Durchblutung verhindern würden.
  • sie steuern auch aktiv die Bewegungen des Partners und
  • vermeiden lang anhaltende mechanische und harte Stöße, die die Vagina+Klitorisorgan+G-Bereich auf Dauer betäuben.

All diese Anregungen sind ‚Lernschritte‘, die jede Frau (bei Männern ist eigenltich derselbe Lernprozess) durchlaufen kann. Es ist nie zu spät, um etwas neues zu lernen. Unser Gehirn ist voll von Potenzialen, die sonst unentdeckt bleiben und menschliche Sexualität ist ein lebenslanger Lernprozess!

Wenn Du mehr Impulse möchtest, lese weitere Artikel in diesem Blog, wie Besseren Sex durch Achtsamkeit oder bestelle die kostenlosen  Achtsamkeitsanleitungen per Email für ein besseres Körpergefühl. Du kannst auch gerne eine persönliche Beratung in Anspruch nehmen und einen Termin per Email  oder telefonisch (01716446826) vereinbaren oder eine Selbsterfahrungsgruppe besuchen.